Sein letzter Burgunder
Weißweinunterscheiden, und er lernt es nie. Er hat keinen Geschmack. Er kauft sich die Experten – wie Michel Roland, mit dem arbeitet er auch, so wie hundert andere Winzer in Frankreich. Bei diesen Weinmachern kommt letztlich überall dasselbe Zeug raus, Massengeschmack, verkaufbar, und der leider von uns gegangene Alan Amber hat bisher alles mit fünfundneunzig Punkten abgesegnet. Na, das ist jetzt vorbei.«
»Macht Sie das glücklich?«
»Mich nicht, aber mein Magengeschwür wird es mir danken.«
»Woher kennen Sie … diesen John Johansen?«
»Er ist ein Freund meines Exchefs.«
»Ex? Haben Sie bei Heckler gekündigt?« Log ihm Koch etwas vor, oder hatte er tatsächlich das Handtuch geworfen? »Es wird schwierig, für Sie das Passende zu finden, bei Ihrem Bekanntheitsgrad. Es gibt nicht mehr viele Wein-Publikationen, außerdem sind die meisten zu Anzeigenblättern verkommen – falls Sie etwas anderes suchen als bisher.«
»Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein. Ich habe da was an der Hand. Mein Magengeschwür weist den Weg.«
Hoffentlich führte die fingierte E-Mail , bei deren Jobbeschreibung Henry Koch im Hinterkopf gehabt hatte, bei ihm nicht zum Magendurchbruch, das wünschte Henry ihm bei aller Antipathie nun doch nicht.
»Haben Sie mal über meinen Vorschlag bezüglich des Materials nachgedacht?« Koch sah sich um, ob jemand zuhörte. Sein Blick traf den des Fotografen, dann blieben seine Augen bewundernd an Signora Vanzetti hängen. »Ihr Freund hat eine sehr schöne Frau. Sie hat auch ein sehr schönes Weingut. Waren Sie mal da?«
»Woher wollen Sie wissen, dass Gatow und ich befreundet sind?«
»Na, so wie Sie beide ständig zusammen rumhängen – ich habe schließlich den Auftrag, Sie zu beobachten – schon vergessen?«
»Ich dachte, Sie beabsichtigen, die Seiten zu wechseln.«
»Das ist bereits geschehen. Sonst wäre ich jetzt bei denen da unten.«
Das glaubt er nur, dachte Henry, er darf Hecklers Freunden höchstens den Champagner bringen.
»Ich habe ihm gestern die Kündigung aufs Zimmer gebracht – und bin heute bei Tagesanbruch im Gegenzug mit sofortiger Wirkung von allen Rechten und Pflichten entbunden; er war schlauer, ich hatte die fristlose Kündigung mit beglaubigter Übergabe bereits auf dem Frühstückstisch. Er muss sie in der Nacht noch aufgesetzt haben, meine hat er angeblich nicht erhalten. Ich darf nicht einmal mehr meinen Schreibtisch ausräumen, und von der Organisation der Challenge bin ich auch ausgeschlossen.«
»Da können Sie ja ausgiebig Urlaub machen. Was ist mit dem Betriebsrat? Gibt’s diese Einrichtung noch in Deutschland?«
»Haben wir nie gehabt. Mit ihm könne man jederzeit und über alles reden, meinte Heckler immer.«
»Er ist radikal.«
»Er ist ein Extremist. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn! Und Kontaktsperre gibt’s auch, Verbot aller Mitarbeiter, mit mir noch ein Wort zu wechseln.«
»Dann sind Sie noch hier?«
»Den Presseausweis kann er mir nicht wegnehmen, außerdem wohne ich in Baden-Baden.«
Henrys schlechtes Gewissen meldete sich wieder, aber das Misstrauen schwand trotzdem nicht. Darauf hatte er sich immer verlassen können.
In dieser Situation erschien es ihm angebracht, auf Koch einzugehen. Henry konnte seinen Vorschlägen zustimmen, das spätere »Nein« würde ihm genauso leicht über die Lippen kommen. Jetzt jedenfalls wollte er von ihm wissen, was da unten auf der Terrasse zwischen den »Glorreichen Drei« vor sich ging. Koch bedauerte, ihm nach dem momentanenStand der Dinge nicht weiterhelfen zu können. Aber Henry konnte ihn jetzt offen fragen, wie er den Mord beurteilte, was er darüber wusste, wen er dahinter vermutete und wie weit die Ermittlungen vorangekommen waren.
»Dieser Kommissar und seine Müller-Wipperfürth oder Melzer-Bönningstedt tappen völlig im Dunkeln«, meinte Koch, nachdem ihm auch Frank Gatow und seine Frau vorgestellt worden waren. Und Henry war erstaunt, wie flüssig und direkt, ja wie umgänglich Koch sein konnte. Oder war er das perfekte Chamäleon und nahm in Sekunden die Farbe seiner Umgebung an? Heckler hatte mit dem Rauswurf einen Fehler begangen.
»Die Wein-Community hält zusammen. Der Kommissar beißt auf Granit oder tappt ins Leere. Angeblich weiß niemand nichts, niemand hat was gesehen, hundertvierzig Juroren haben tief geschlafen, der Mord ist um zwei Uhr nachts geschehen, Spuren gibt es keine, deren Verfolgung lohnte, bis auf das langsam wirkende
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