Sein letzter Burgunder
fluchte, andere versperrten ihm absichtlich den Weg, es gab böse Worte. Henry scherte sich nicht drum, er musste die Gesichter der beiden Männer sehen, er war sich sicher, dass sie im Casino waren – aber als er Frau Schönhals fasterreicht hatte, waren sie in der Menge untergetaucht. Jetzt musste Henry seinerseits abtauchen, damit die Hotelangestellte ihn nicht sah. Er bückte sich, nestelte atemlos an seinem Schuh und machte sich so klein, wie es bei einem Meter und neunundsiebzig möglich war, dann schlich er im weiten Bogen um all jene zurück, die er angerempelt hatte. Erst als er entnervt wieder bei Gatow/Vanzetti ankam, richtete er sich auf.
»Was sollte das denn eben?«, fragte Antonia Vanzetti und schüttelte verständnislos den Kopf.
»Hast du sie fotografiert?« Das war alles, was Henry interessierte, und er streckte die Hand nach Franks Kamera aus.
»Weiß ich nicht. Ich habe einfach in die Richtung gehalten, ich wusste nicht, was du meinst und wen, das ging mir zu schnell.«
»Na, die Frau aus dem Hotel, die Antonia eben angesprochen hat.«
»Wozu denn bloß?«
Im selben Moment hatte die Hotelangestellte den Wettschalter erreicht, und genau in diesem Moment kam von dort ein lauter Schrei. Diesmal hatte Frank die Kamera sofort am Auge, aber man sah nichts als eine sich um die Kasse drängende Menge und über den Köpfen zwei in die Höhe gerissene Arme. Es waren die von Frau Schönhals. Sie hatte als Einzige auf der Rennbahn die Viererwette gewonnen.
Während die Umstehenden Beifall klatschten und die Gewinnerin sich vor Freude kaum fassen konnte, sahen sich Frank, Henry und Antonia betreten an. Zwischen ihnen entstand eine Stimmung ähnlich der vor einem Gewitter, dem man nicht ausweichen kann, das unweigerlich auf einen zukommt und bei dem man nicht nur nass wird. Jetzt wurde auch Antonias Argwohn spürbar, sie wusste längst, dass die beiden Männer etwas verheimlichten.
»Es hat mit dem Mord zu tun?«, fragte sie barsch, und Henry war froh, jetzt nicht in Franks Haut zu stecken, dennder Blick seiner Frau war der erste Blitz des nahenden Gewitters.
Frank blickte Henry hilfesuchend an. Henry verglich es mit dem Gefühl aus seiner Kindheit, wenn er beim Spielen mit anderen Kindern die Zeit vergessen hatte und einen Freund mit in die elterliche Wohnung nahm, damit das Donnerwetter nicht so schlimm ausfiel. Aber hier ging es nicht um ein Spiel, nicht um eine Lappalie, das wusste Antonia Vanzetti genau. Sie schien ihren Mann zu kennen, sie blickte ihn fordernd an, von ihm erwartete sie Aufklärung und nicht von Henry.
Der zog sich unauffällig zurück und überließ den Eheleuten und ihrer Art der Konfliktbewältigung das Feld. Henry war es gar nicht recht, dass Signora Vanzetti zwar nicht mit hineingezogen, aber zur Mitwisserin wurde. Er hoffte, dass der Fotograf sich auf das Wesentliche beschränkte, dass er nur über den Mord an Alan Amber sprach.
Frau Schönhals war umjubelt, Neugierige kamen, fragten die Umstehenden nach den Gründen für den Auflauf, der eine oder andere spendete Beifall, der langsam versiegte, als das nächste Rennen angekündigt wurde. Jeder hat das Recht, für fünfzehn Minuten berühmt zu sein, dachte Henry und stellte sich zwei Fragen.
Waren die Männer, die er meinte gesehen zu haben, tatsächlich dieselben wie im Casino? Was hatten sie mit Frau Schönhals zu schaffen?
Henry schlenderte nachdenklich weiter in Richtung Pressezentrum. Er hatte mörderischen Hunger, er hätte auch an einer Bude eine dieser fetttriefenden Bratwürste gegessen, aber nur zur Not. Oben war das Essen besser, er hatte es vorhin gerochen.
Er zeigte dem Türsteher erneut die Akkreditierung, die der gar nicht mehr sehen wollte, und wartete auf den Fahrstuhl. Kannte Frau Schönhals diese beiden Männer in den dunklen Anzügen, die im Casino aufgetaucht waren? Hattensie Amber seinen letzten Burgunder gereicht und ihn womöglich weiter mit Spielgeld versorgt? Dann hatten sie mit dem Mord zu tun, genau wie die Schönhals. Sie hatte mit dem Telefon am Ohr im Flur gestanden. War die Wanze von ihr installiert worden? Ein Lötkolben war dafür nicht nötig, ein Schraubenzieher reichte. Es dürfte nicht schwer sein, herauszufinden, welche Aufgaben sie im Hotel wahrnahm. In der fraglichen Nacht hatte sie keinen Dienst gehabt, doch konnte jedes halbwegs pfiffige Zimmermädchen den Hauptschalter finden und ein Foto vom Schaltraum machen, das man dem Elektriker zeigt. Der weiß dann, wie überall das
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