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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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informiert (»die Entscheidung überlasse ich meinem Kellermeister«), über den Typ des Eichenholzes seiner Stückfässer und der Barriques wusste er nichts, aber Kork war verbannt, alle Flaschen trugen jetzt den »kundenfreundlichen« Schraubverschluss: »Ich habe eine tolle Frau fürs Marketing.«
    Grämten sich Templins Weinberge nicht, wenn der neue Besitzer kam? Bogen sich die Weinstöcke schamhaft zur Seite, wenn er zwischen ihnen hindurchging? Vielleicht war der neue Wein deshalb so schlecht. Und dieses Würstchen spielte sich als Retter Kaiserstühler Winzertraditionen auf   – mit Reinzuchthefe, mit Betonit zum Schönen und der neuesten Filtertechnik? Henry merkte, wie der Ärger darüber in ihm aufstieg und wie die Ungerechtigkeit Templin gegenüber ihm zu schaffen machte. Dieser Aasgeier hatte Templin reingelegt, einen richtig guten Winzer, dem das Leben, vielmehr der Tod, so übel mitgespielt hatte, nur um sich mit Weingütern zu brüsten? Aber hatte man einmal den Boden unter den Füßen verloren, war alles möglich.
    »Ein in den Ruin getriebenes Weingut ist billig zu haben,nicht wahr, Herr Johansen?«, sagte Henry abschließend. »Erst fällt es an die Bank, dann an den neuen Käufer   – oder?« Dieses mit einem Fragezeichen gesprochene »Oder?« von Frau Stöckli gefiel ihm immer besser. Es passte häufig, sagte nichts und doch sehr viel.
     
    Marions Vater gehörte nicht zu den »Glorreichen Drei«. Er interessierte sich auch mehr für die Pferde, verstand einiges vom Wein, auf jeden Fall mehr als der Retter des Kaiserstuhls. Dörner kannte einige spanische Weingüter, das machte es angenehm, mit ihm zu plaudern   – bis Henry auf die Uhr schaute. Es wurde schummrig, das letzte Rennen war gelaufen, die Zuschauer wanderten ab, und es war Zeit für den Shuttle zurück nach Baden-Baden. Das Angebot, sich im Wagen mitnehmen zu lassen, schlug er aus. Er wollte nicht mehr reden, nicht diplomatisch sein, kein Versteck spielen und vor allem seine Augen schonen, nicht zuletzt vor dem Anblick von Leuten, denen er lieber aus dem Weg ging. Heute würde er die Zimmertür einbruchsicher verrammeln, sämtliche Stecker aus allen Steckdosen ziehen, das Mobiltelefon im Klo versenken, sich die Ohren mit Ohropax verstopfen, sich eine Decke über die Augen legen und mindestens zehn Stunden schlafen.
    Er ging zum Ausgang des Renngeländes, wo er ein Weilchen mit Aguirre plauderte, der noch auf einen Kollegen warten wollte, und wandte sich dann in Richtung Bushaltestelle. Dazu musste Henry die Straße zwischen der Rennbahn und den Parkplätzen überqueren. Als er den ersten Fuß auf den Asphalt gesetzt hatte, hörte er das Aufheulen eines Motors und durchdrehende Reifen, Scheinwerfer blendeten ihn, von rechts raste ein bulliger BMW auf ihn zu, Henry warf sich nach vorn, doch der Aufprall riss ihm die Beine unter dem Körper weg, er merkte, wie er auf den Boden schlug, durchs nasse Gras rollte und mit dem Kopf gegen etwas Hartes knallte   …
     
    »Sagen Sie mir Ihren Namen! Hallo? Sind Sie wach?«
    Jemand zog an Henrys Augenlid und leuchtete mit einer Lampe hinein. Er kniff die Augen zusammen, das Licht schmerzte, er wandte den Kopf ab, auch das tat weh.
    »Nehmen Sie verdammt noch mal diese Funzel weg«, sagte er und stöhnte. »Ich bin nicht blind.«
    »Er ist wach«, freute sich der Sanitäter, und Henry tat es leid, ihn angefahren zu haben, aber das Licht blendete entsetzlich.
    »Wie geht’s ihm?« Diese Frage hatte eindeutig Neureuther gestellt. Seine verknitterten Hosenbeine waren irgendwie sichtbar.
    »Gut geht’s mir, Herr Kommissar«, sagte Henry so laut, wie es ihm möglich war.
    »Sie sind Kommissar? Von der Polizei? Ich hab’s gesehen, es war Absicht, der hat ihn absichtlich überfahren.« Henry kannte die Stimme nicht, jedenfalls war sie weiblich. »Ich auch, ich kann es bezeugen«, sagte ein Mann, »wenn Sie meine Adresse brauchen   … Ich habe mir die Autonummer gemerkt.«
    Henry bewegte derweil die Zehen. Sie funktionierten. Er bewegte die Fingerspitzen   … in allen war Gefühl vorhanden. Als er die Knie anwinkeln wollte, schmerzte der rechte Oberschenkel, als hätte ihn dort eines der Rennpferde getreten, aber es war der BMW gewesen, er war auf ihn zugesprungen wie die Pferde aus der Startbox. Das linke Knie war in Ordnung, die rechte Schulter auch, mit der linken haperte es.
    »Alles in Ordnung«, sagte Henry, dem die Schaulustigen um ihn herum auf den Wecker gingen, und wollte sich

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