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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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aufrappeln.
    »Sie bleiben liegen«, befahl Neureuther, und der Sanitäter drückte Henry sanft auf den Boden zurück. Sein Kollege brachte die Trage. »Wir bringen Sie ins Krankenhaus, wir müssen Sie röntgen lassen, vielleicht ist was gebrochen, und Sie haben eine Gehirnerschütterung.«
    »Das tut meinem Gehirn nur gut, ab und an brauch ich eine kleine Erschütterung   – zum Wachwerden. Es ist nur etwas langsam«, murmelte Henry und versuchte sich zu besinnen. Es war ihm letztlich sehr lieb, dass er liegen bleiben durfte. Er machte einfach die Augen zu und ließ sich tragen, dann schob man ihn in den Krankentransporter, und er hörte noch, wie der Kommissar draußen etwas mit den Zeugen besprach, dann stieg er zu.
    »Man darf Sie keinen Moment aus den Augen lassen. Ich hoffe, Sie haben begriffen, dass ein Leben als Geheimnisträger nicht ungefährlich ist. Teilen Sie Ihr Geheimnis mit mir. Der Biss einer Wanze ist nicht tödlich, aber die Sache eben hätte böse ausgehen können. Kann man mit Ihnen schon reden?«
    »Wenn Sie mit sich reden lassen   – sicherlich.«
    »Der Antwort nach zu urteilen sind Sie auf dem Weg der Besserung.« Der Kommissar seufzte. »Sie mögen die Polizei nicht besonders. Woran liegt das?«
    Henry griff mit der Hand in die Innentasche seines Leinensakkos. Die Brieftasche war da   – das Mobiltelefon nicht. Henry suchte im Liegen mühsam in allen Taschen.
    »Ich hab es«, meinte Neureuther und hielt Henry das Gerät hin.
    »Genau deshalb mag ich euch nicht.« Henry fuhr mit dem Finger über die glatte Oberfläche, er suchte das Telefonverzeichnis. »Sie respektieren den Bürger nicht, Sie vergreifen sich an uns. Würde ich noch im Straßengraben liegen, dann hätten Sie das Ding hier schon längst gecheckt. Ihr ruft nach immer mehr Kompetenz, ihr wollt uns abhören, beobachten, belauschen, bis euch ein Gericht an die Gesetze erinnert. Ihr lauft mit geladenen Waffen herum. Ist das Abdrücken leichter, als dem Dieb hinterherzurennen?«
    »Es reicht, Herr Meyenbeeker   …«
    »…   nein, es reicht nicht. Ihr handelt auf Befehl. Irgendeiner, den niemand gewählt hat, gibt Anweisungen, und ihrführt es aus, einer, den Korruption und Intrigen nach oben gebracht haben, gibt euch Befehle. Gestapo, Stasi, Verfassungsschutz   – ist doch alles ähnlich. Es geht nicht um Systeme, es hapert bei den Menschen.«
    »Wir leben in einer Demokratie   …«
    »Haben wir beide in unserem Europa noch was zu sagen?«
    »Wenn ich Sie nicht vorher gekannt hätte, würde ich annehmen, Sie hätten eine Gehirnerschütterung, Herr Meyenbeeker. Aber ich nehme an, Sie sind immer so. Was wissen Sie? Wer wollte Sie überfahren? Die Zeugen sagen einhellig, dass es eindeutig Absicht war. Sie werden abgehört und schweigen. Man will Sie umbringen   – und Sie schweigen! Warum? Die, wer immer sie sind, werden sich was Neues ausdenken und ihr Ziel erreichen.«
    »Ich habe nichts gesehen, bis auf den BMW, der auf mich zuraste.«
    »Hat es keinen Sinn, mit Ihnen zu reden?«
    Henry richtete sich auf und stützte sich auf die Ellenbogen, aber beim Schaukeln des Rettungswagens legte er sich wieder hin. »Es ist mir zu unsicher, mich Ihnen anzuvertrauen, Herr Kommissar.«
    »Mir   … zu unsicher?« Neureuthers Erstaunen war echt.
    »Ich glaube, dass Heckler und auch Sie abgehört wurden oder werden. Das sagt mir meine Journalistennase. Wenn es bei mir möglich ist, dann auch bei euch. Und wenn im Hotel jemand dem Mörder geholfen hat, wieso dann nicht auch bei der Polizei? Wenn ich Ihnen was sage, dann erfährt es auch der Apparat, die Sonderkommission, wegen der internationalen Dimension des Mordes. Und dann weiß es auch der Maulwurf und gibt es an seinen Auftraggeber weiter. Ich muss quasi im Vorbeigehen irgendetwas mitgekriegt haben, wobei ich noch nicht weiß, was es ist. Aber das weiß der Mörder nicht. Deshalb will er mich aus dem Weg räumen. Leuchtet ein   – oder?«
    Dieses »Oder« mit dem Fragezeichen würde Henry zuseinem Wort des Jahres machen. Es war grandios. Es erübrigte sich jedes weitere Wort, und als sie das Krankenhaus erreichten, trollte sich der Kommissar, schweigsam, entweder bedrückt oder müde. Das Nummernschild, hatte sich herausgestellt, war gefälscht.
     
    Um zwei Uhr nachts kam Henry am Stock ins Foyer gehumpelt. Bis auf einige Prellungen war er gesund, eine Beule am Kopf war längst keine Gehirnerschütterung. Er hatte beim Warten auf Krankenhausfluren genügend Zeit gehabt,

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