Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
Rotweinkollektion in den Jahren 2006, 2007 und 2008 verbuchen, hatte zweimal einen Bundes-Ehrenpreis für eine herausragende Gesamtleistung erhalten, und seine Weine waren mit Silber- und Goldmedaillen geschmückt. Das alles zählte für Henry, aber am meisten zählte sein eigenes Urteil. Er wählte, er entschied, seine Nase war maßgeblich, seine persönliche Auffas sung vom Wein gab seine Richtung vor. Ein Wein, der gut gemacht war, musste ihm nicht gefallen, und ein Wein, der seinen Vorlieben entsprach wie ein junger Rioja, fiel bei anderen Verkostern durch. Henry wäre froh gewesen, wenn sich alle ihren eigenen Maßstab zurechtgelegt hätten, nach eigenem Gutdünken entscheiden würden und sich nicht von Ambers oder sonstigen Punkten und anderen Gurus einschüchtern oder an der Nase herumführen ließen. Henry war gespannt, wer die Nachfolge antreten würde. Jemand aus Ambers Team, der Sohn etwa oder ein ganz anderer, der sich einstweilen bedeckt hielt? Einige sahen sicher ihre Chance gekommen. Der König war tot. Wer würde als Nächster gekrönt werden?
    Henry stellte es sich nicht einfach vor, mit oder unter dem eigenen Vater zu arbeiten. Das war in allen Familienbetriebender Fall. Leopold Schätzle hatte das Weingut in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit seiner Frau zusammen gegründet. Anfangs war man von Stadt zu Stadt gefahren, hatte an den Türen der Münchner Villen geklingelt, Proben hinterlassen und auf Aufträge gehofft.
    Schätzles Lagen waren weit verteilt, im Kaiserstuhl lagen sie in Oberbergen, oberhalb von Endingen, hier am Nordrand, sie waren im nahen Breisgau und bei Kenzingen. Sowohl Löss wie vulkanische Böden standen zur Verfügung und wurden unterschiedlich genutzt.
    Das Angebot, mit dem Junior in die Weinberge zu fahren, nahm Henry gern an, denn jetzt bekam er die Flachlagen zu sehen, die durch die großflächigen Erdbewegungen der Flurbereinigung entstanden waren. Zuvor hatte sich der Kaiserstuhl nur mühselig und kaum rentabel bewirtschaften lassen, Erbteilung hatte das Gebiet und die winzigen Trassen noch weiter zerstückelt. Dann waren die Raupenschlepper und Bagger gekommen und hatten den Kaiserstuhl maschinengerecht zugeschnitten und ihm sein heutiges Gesicht gegeben, eine Mischung aus natürlichen Gegebenheiten und technischem Größenwahn. Erst nachträglich waren die vielen dadurch entstandenen Fehler wie Kälteseen bei falscher Hangneigung und nach schwerem Regen abrutschende Hänge beseitigt worden.
    Die großen Terrassen machten natürlich auch den Einsatz der Vollernter möglich, die Hunderte von Händen ersetzten, die nötigen Arbeitsstunden wurden um die Hälfte reduziert   – und das Lesegut ließ sich innerhalb von Stunden einfahren. Das war die Maxime des letzten Jahrhunderts, bis die Weingrünen aufgetaucht waren und seither um ein anderes Gleichgewicht kämpften.
    Die Weinprobe fand dann wieder in Schätzles Gastraum statt. Seine Weißburgunder waren schlank, elegant und fili gran , Äpfel unterschiedlicher Art und Reifegrade zeigten sich in den Aromen sowie exotische Früchte. Die Grauburgunderdagegen waren eher temperamentvoll, dicht und wirkten »barock«, und je heißer das Gestein wurde, wie der Winzer erklärte, desto mehr entfalteten sich im Wein die Aromen exotischer Früchte. Henry schnupperte, probierte und notierte. Es waren entsetzlich viele Weine, denn neben den Burgundersorten bauten die Schätzles Muskateller, Scheurebe, Weißherbst, Rivaner und Riesling an, der angeblich das vulkanische Terroir am besten zeigen sollte. Aber da reichte Henry das Probieren vom Burgunder in seinen vielen Ausprägungen. Die Weißweine waren durch die Bank weg gut, besonders gelungen waren die Weine von der Oberbergener Bassgeige. Unter den Roten tat sich die Bombacher Sommerhalde hervor, ein im Barrique gereifter Wein. Auch die Endinger Steingrube gefiel ihm. Die Auslese vom Endinger Engelberg war ihm zu weich.
    Das Mobiltelefon riss ihn aus dieser Vielzahl von Eindrücken, Düften, Geschmäckern und Assoziationen.
    »Ja, ich will«, sagte eine Stimme. Das konnte nur Templin sein.
    »Und was sagen Sie uns über Amber, Herr Templin?«
    »Dazu müssen Sie herkommen, das geht nicht am Telefon.«
    »Heute noch?«
    »Nein, morgen. Kommt der Fotograf wieder mit?«
    »Ist das für Sie ein Problem?«
    »Er ist Italiener, er könnte für die Gegenseite arbeiten. Sie hatten nach einer Frau Schönhals gefragt.«
    »Na und, was hat das mit Frank Gatow zu tun?«
    »Die

Weitere Kostenlose Bücher