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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Antworten schienen Henry etwas kurzatmig. Wenn er spanischen Winzern ähnliche Fragen stellte, sprudelten sie los. Die meisten sprachen gern über sich, über ihr Weingut und die Weine und fanden kein Ende. Aber die beiden vermittelten den Eindruck, einer quälenden Prüfung ausgesetzt zu sein, sie wanden sich und machten aus allem ein Geheimnis. Nur gelang es ihnen kaum, gegen Henrys penetrantes Lächeln anzukommen, das andere italienische Pärchen am Tisch, in Freiburg ansässig, zeigte sich mit einem Mal genauso wissbegierig. Henry registrierte sehr wohl, dass eine der Fragen nicht beantwortet wurde, er hatte nicht gefragt, wo das Weingut liege, sondern wie, ob in der Höhe, an Hängen, in der Ebene, dem Meer zugewandt, nach Westen ausgerichtet   … Bei der Frage nach den Unterschieden zwischen Tages- und Nachttemperatur, die sich auf die Reife der Beeren auswirkten, blieben beide vage.
    Als er danach fragte, ob sich die autochthonen Rebsorten besser mit Merlot oder mit Cabernet Sauvignon verschneiden ließen, stand Signora Valiano abrupt auf. »Ich habe in den vergangenen Tagen genug gearbeitet, jetzt habe ich Ferien!« Ärgerlich verschwand sie im Hotel. Ihr Mann zeigte keine Reaktion.
    »Hast du sie vergrätzt?«, fragte Frank auf Deutsch, der an den Tisch trat und ihr nachsah, dann das fremde Pärchen und den Winzer begrüßte und sich auf den freien Platz setzte.
    Die Freiburger Italiener sprachen fließend Deutsch, also konnten sie nicht offen reden. Henry musste Frank irgendwie signalisieren, dass er die Winzer testete, denn der Verdacht gewann an Raum, dass sie nicht das waren, was sie zu sein vorgaben. Die Antwort des Winzers, dass es beim Verschnitt autochthoner Rebsorten auf den jeweiligen Jahrgang ankomme, war falsch. Jede Rebsorte hatte ihre Aufgabe, die eine lieferte mehr Farbe, die andere Struktur, die nächste Fülle, eine andere dann wieder intensivere Aromen oder Gerbsäure und damit Lebensdauer. Es war eine Frage des Mischungsverhältnisses.
    Da Valiano auch Weißwein produzierte, fragte Henry ihn nach dem biologischen Säureabbau   – ob er die Umwandlung der Apfelsäure in die weichere Milchsäure bereits bei der Gärung durch bakterielle Zugaben einleite, ob der BSA überhaupt gewollt sei oder ob er warte, dass dieser Prozess nach der Gärung von allein einsetzte. Es dauerte eine Weile, bis Valiano begriff, was gemeint war.
    »Das entscheidet unser Önologe!«
    Henry griff nach der Speisekarte, damit Valiano nicht in seinen Augen sah, dass er ihm jetzt vollends misstraute. So eine Frage war von entscheidender Bedeutung für den Stil eines Hauses. Wollte man Schmelz und Aromen oder wollte man Frische? Weitere Fragen nachzuschieben erübrigte sich, damit hätte er ihn gewarnt. Aber Valiano hatte das Misstrauen sicher längst bemerkt.
    Arm in Arm kamen seine Frau   – »bitte nennen Sie mich Giorgia«   – und Frau Brunner an den Tisch und wandten sich sofort an Frank.
    »Schade, dass Ihre Frau abreisen musste, eine so reizende Person und begnadete Winzerin. Sie haben noch gar nichtgewählt, Sie und Ihr Freund? Nach dem schrecklichen Essen in Baden-Baden muss Ihnen unser Restaurant wie das Paradies vorkommen.«
    »So ist es, gnädige Frau«, antwortete Frank mit seinem Charme. »Sie werden mir sicher etwas ganz Besonderes empfehlen.«
     
    Während des Essens, das in gespannter Atmosphäre verlief und bei dem schnell klar wurde, dass die Italiener lieber unter sich blieben, kam Herr Brunner aus seiner Küche, um die Gäste zu begrüßen. Die verbundene Hand hielt er auf dem Rücken versteckt, aber inzwischen klebten auf der anderen auch zwei Pflaster. Er verstümmelt sich weiter, dachte Henry, oder will er sich etwas abschneiden, etwas, das nicht zu ihm gehört? Vielleicht war das zu psychologisch gedacht, aber Henry hielt es für naheliegend, wenn er sich die aufgeladene Atmosphäre vor Augen führte. Diese Spannung hatte er bereits am ersten Abend gespürt, als er mit Frank hierhergekommen war.
    Als auch Frank sich ins Gespräch der Italiener einklinkte, sah Henry die Gelegenheit gekommen, sich einen Überblick über die Örtlichkeit zu verschaffen, es konnte nicht schaden. Am nächsten Tag würde er das Hotel wechseln, unabhängig von Franks Entscheidung.
    Das Hotel hatte die Form eines L, eine lange und eine kurze Seite. In der kurzen Seite waren das Foyer, das Restaurant und die Küche untergebracht, aus der wieder die Stimme des Küchenchefs schallte. Henry blieb kurz am

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