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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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»Sonne« weder zu Templin noch zum Stil seiner damaligen Weine. Sie waren modern und klar gewesen, weder aufgezuckert noch altbacken.
    Templin saß an einem runden, weiß gescheuerten Tisch in der Ecke unter einem Leuchter aus Eichenimitat, dessen vier gelbliche Glaskuppeln, ausgerichtet nach den vier Himmelsrichtungen, den Winzer krank aussehen ließen. Das Licht machte ihn zum Hepatitis- C-Patienten , und die Falten wirkten wie Ackerfurchen.
    Decken und Wände waren mit allerlei Utensilien dekoriert, die bereits vor dreißig Jahren im Weinbau und derLandwirtschaft überflüssig geworden waren. Die Sitzkissen auf den Stühlen und der Eckbank waren großblumig gemustert und ließen die Strohblumen in den Vasen auf den halbhohen Trennwänden zwischen den Sitzgruppen noch vertrockneter erscheinen   – doch von Sonne wie im Namen des Restaurants keine Spur.
    Was hatte Templin hierher verschlagen? Man konnte es in dieser Kneipe mit Zigeunerschnitzel, Jägerschnitzel, Schnitzel Natur und Wiener Schnitzel nur aushalten, wenn man entweder einen Plan verfolgte, sich versteckte oder sich aufgegeben hatte. Die Umgebung verstärkte den Zustand der Jämmerlichkeit, in der Templin sich anscheinend befand   – oder scheinbar?
    »Nichts ist, wie es scheint«, orakelte Henry.
    Frank verdrehte entnervt die Augen. »Der Aufenthalt hier ist eine Zumutung. Bleiben wir lange? Müssen wir hier etwa was essen?« Sein Tonfall enthob Henry der Notwendigkeit einer ernst gemeinten Antwort.
    »Ich wusste, dass Sie wiederkommen«, sagte Templin und gab zu verstehen, dass ihm der Besuch keineswegs willkommen war.
    »Wir kommen als Freunde«, versuchte Henry, den Winzer, ehemalig oder noch gegenwärtig, zu beruhigen, und stellte seinen Begleiter vor.
    »Kommt er auch, um mich zu bemitleiden? Ich sollte Geld dafür nehmen, je elender, desto teurer   …«
    »Das ist der erste vernünftige Vorschlag, Herr Templin, seit wir uns kennen. Ansonsten geht mir Ihr Gejammer entsetzlich auf den Wecker. Ist das ein Teil Ihrer Alkoholiker-Show? Lassen Sie uns wie Erwachsene miteinander reden. Ich will von Ihnen eine Antwort, auf die es nur ein Ja oder Nein gibt, kein Vielleicht, kein Entweder, schon gar kein Unter-gewissen-Umständen   …«
    »Leider ist es keine Show   – und wie lautet Ihre Frage?«
    Templins Gesichtszüge hatten sich gestrafft, seine Gestaltgewann an Spannung, und in die Augen kehrte ein Schimmer zurück, den Henry bei ihrer ersten Begegnung zu sehen gemeint hatte und der die Vermutung hatte entstehen lassen, dass Templin doch nicht so kaputt war. Es war dieser Glanz, der Henry überhaupt hatte herkommen lassen. Außerdem wusste der Winzer etwas, das Henry brennend interessierte. Er hatte Amber gekannt.
    »Meine Frage lautet ganz einfach: Wollen Sie Ihr Weingut zurückhaben?«
    Man hätte den Blick des Winzers als böse bezeichnen können, wenn man ihn nicht kannte. Frank wird es wohl so auffassen, dachte Henry, aber für ihn lag darin ein tiefer Ernst, ähnlich einer vielleicht letzten Lebenshoffnung. Templin schaute von einem zum anderen, er versuchte, in sie einzudringen, fragte sich, ob man ihn ernst nahm, ob man für die Antwort seine Seele kaufen wollte, ob er mit dieser Antwort nicht vom Regen in die Traufe käme.
    Niemandem kann man trauen, dachte Henry, und dieser Gedanke war in den Augen des Winzers zu lesen.
    »Was wollen Sie dafür? Nichts im Leben ist umsonst.«
    »Das ist wahr!« Henry bemerkte, dass Templin seit ihrer Ankunft nicht einmal nach seinem Weinglas gegriffen hatte. »Ich will nichts, was mich nachts nicht ruhig schlafen ließe. Beruhigt Sie das? Ist Ihre Frage als ein Ja aufzufassen?«
    »Meine Seele verkaufe ich nicht, die gehört bereits   …« Er vollendete den Satz nicht. »Was wollen Sie?« Er suchte nach der Antwort in Franks Gesicht, aber der wusste es ebenso wenig, zuckte mit den Achseln und blätterte hilflos in der eingeschweißten Speisekarte.
    »Ich brauche Ihre Hilfe, Sie wissen etwas, was ich wissen muss.«
    »Meine Hilfe? Sie machen Witze. Was könnte ich wissen, was Sie interessiert?«
    »Sie haben bei unserer ersten Begegnung über Alan Amber gesprochen. Sie kannten ihn. Er ist tot.«
    Die Veränderung, die mit Templin vor sich ging, war offensichtlich, und sie war nicht dem übermäßigen Weingenuss zuzuschreiben. Er wich um einige Zentimeter zurück, bis die Rückenlehne ihn an weiteren Bewegungen hinderte, und in dem Maße, wie sich seine Augen weiteten, verschloss sich der Mund.

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