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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Haupteingang stehen und betrachtete das Schild mit der Aufschrift »Weinkeller« und einem Pfeil nach unten. Darauf war er neugierig, auf alle Weinkeller, so wie er früher bei anderen Leuten in die Bücherschränke gesehen hatte. Sage mir, was du trinkst, und ich sage dir, was du bist: ein Sparbrötchen oder ein Genießer. Den Schlüssel würde er sich lieber bei Brunner statt bei seiner Frau abholen, er würdevielleicht sogar mitkommen, dann konnte er ihn diskret ausfragen, sowohl über die Gründerjahre als auch über die Valianos. Winzer waren das nicht, da war er sich sicher.
    Der Wohntrakt mit den Gästezimmern war zwei Stockwerke hoch, was von der Straße aus nicht einsehbar war, große Tannen verdeckten überall die Sicht. Sie standen vor den Fenstern, sie standen rings um die Terrasse und begrenzten den Garten als Übergang zum Wald. Der war am frühen Abend bereits düster. Aufmerksam, als wären sie ein Schlüssel zu einem Geheimnis, betrachtete Henry die Fotos, Gemälde und Stiche von Kelchen in den Fluren. Die Prunkgefäße stammten aus allen Epochen, sie stammten von den Griechen und den Römern, eine Aufnahme eines Kelchs mit keltischem Kreuz war dabei, gotische und romanische Formen und Ornamente, ein Goldkelch aus dem Barock, aus der Renaissance und ebenso moderne Kelche. Es war eine schöne Sammlung. Waren Kelche im Tarot nicht das Sinnbild für Wasser und im weiteren Sinn für Tränen, ein Symbol der Reinigung? Was hatte dann die Namensgebung mit den Besitzern des Hotels zu tun?
    Henry hörte ein Telefon läuten und ließ sich von dem Geräusch führen. Das Klingeln dauerte an, und er sah Frau Brunner im Parterre ihr Büro aufschließen und hineinhuschen, aber sie sprach entgegen ihrer sonst lauten Art zu leise, als dass er sie hätte verstehen können. Sie sprach Italienisch, und Henry ärgerte sich wieder einmal, dass er nichts verstand. Er blieb hinter einem Vorhang stehen, der den Flur unterteilte, darauf bedacht, dass seine Schuhspitzen nicht wie in einem blöden Film hervorlugten, und wartete auf das Ende des Gesprächs. Frau Brunner verließ eilig den Raum, schloss nicht ab und eilte zurück in den Garten. Nachdem ihre Schritte verklungen waren, betrat er das Büro.
    Es war mit Aktenschränken, Regalen für die Steuerordner, einer Hängeregistratur, zwei aufgeräumten Schreibtischeneingerichtet, durch das große Fenster überblickte er die Terrasse und den Garten, wenn er die Lamellen der Jalousie auseinanderbog. So hatte die Chefin die Gäste und ihr Personal immer im Blick, und Henry sah Frau Brunner und den Winzer sich den Stufen der Terrasse nähern. Es war Zeit zum Verschwinden, Henry wusste sowieso nicht, wonach er suchen sollte, und um auf gut Glück herumzustöbern, fehlte ihm die Zeit. Als er zur Tür ging, sah er die Ordner mit der Aufschrift »Banco« und »Finanziamento«. Die interessierten ihn. Es wäre hilfreich zu wissen, woher das Geld gekommen war und wer wem etwas schuldete. Er zögerte. Würde er den Ordner mitnehmen und es fiel auf, war man gewarnt, und er würde ihn, wenn der Raum wieder abgeschlossen würde, nicht zurückstellen können. Da näherten sich die Stimmen bereits dem Flur, Henry huschte aus dem Zimmer, zog leise die Tür zu, nach einigen Schritten sah ihn Rebecca Brunner und blickte ihn böse an.
    »Ist Ihr Zimmer nicht ein Stock höher, Signore? Was suchen Sie hier? Kann ich Ihnen helfen? Wollten Sie nicht zu Abend essen?«
    »Ich habe Ihre Sammlung der Kelchdarstellungen bewundert und dachte, dass hier unten auch Fotos wären«, antwortete er geistesgegenwärtig. Sie schwieg, überlegte, ob sie noch etwas hinzufügen sollte, und bevor das Schweigen peinlich wurde, ging Henry mit einem »wir sehen uns« an ihr vorbei.
    Den Blick ins Büro hätte er sich sparen können, er hatte nichts erreicht, aber ihr Argwohn war geweckt. Aus seinem Zimmer holte er sein Mobiltelefon und folgte einem Trampelpfad auf den Waldrand zu. Endlich hatte er Ruhe.
    Er musste genau hinsehen, um im Schatten des abschüssigen Hangs nicht ins Rutschen zu kommen, es war bereits ziemlich dunkel, vom Hotel sah er ein oder zwei Laternen, aber den Rückweg zu finden, würde einfach sein. Er musste nur die Anhöhe wieder hinaufkraxeln. Er setzte sich auf diedicke Wurzel einer umgestürzten Tanne, um Isabella anzurufen, aber an diesem Standort bekam er keine Verbindung. Also musste er wieder hinauf zum Parkplatz und es von dort aus versuchen. Da könnte er höchstens mit einem Richtmikrofon

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