Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
mussten sie sein, er hatte seine Weine gesucht und geschaffen und erst danach den Markt dafür gesucht.
    Templin wand sich, es quälte ihn, da war ein Rest von Neugier. Doch wie stark war das Gift des Alkohols und des Misstrauens dem Leben gegenüber?
    »Was wollen Sie wirklich von mir? Einen gebrochenen Mann sehen? Ihnen geht es gut, und mir nicht.«
    »Ich habe gehört, dass Ihre Frau und Ihr Sohn verunglückt sind. Sie sind nicht der Einzige mit einem schweren Schicksal.«
    »Mir egal, mir ist es zugestoßen und nicht irgendeinem anderen.«
    »Sie irren sich.« Henry sah Jürgen Templins erstaunte Augen, grau waren sie, er wunderte sich offensichtlich über seine scheinbar wenig mitfühlenden Worte. »Es ist Ihrer Frau und Ihrem Sohn zugestoßen. Was, das sollten Sie sich fragen, sind Sie ihrem Andenken schuldig?«
    Sein Gegenüber bezog eine Verteidigungsstellung, eigentlich ein gutes Zeichen, dachte Henry, wenn noch Kampfgeist vorhanden war. Oder behauptete sich da sein Selbstmitleid?
    »Was wissen Sie denn? Sie stürmen hier rein und meinen, Sie hätten eine Ahnung von dem, was geschehen ist. Es kotzt mich an, dass alle meinen, sie wüssten, wie man sich in so einem Fall zu verhalten hat. Die Welt strotzt vor Besserwissern,dabei ist sie ein Jammertal. Ihnen werde ich es sagen, dann kommen Sie von Ihrem hohen Ross herunter. Es war ein Unfall, ja, aber Beate hat ihn nicht verschuldet. Vielleicht war sie zu schnell. Aber wieso ist sie in der Linkskurve nicht rechts gegen den Baum geprallt, sondern links? Wieso hat sie den Wagen verrissen? Weil jemand aus dem Feldweg kam und sie ausgewichen ist. Und dieser Jemand ist abgehauen und hat beide sterben lassen. So war das!«
    Jürgen Templin wirkte auf einmal nüchtern. »Ihr alle sagt, ich sei nicht zurechnungsfähig. Redet nur, Ihr Besserwisser! Nein, es war Fahrerflucht! Da kam einer aus dem Feldweg und ist dann weitergefahren. Nicht mal Hilfe hat er geholt, das Schwein. Und das Weingut habe ich versoffen? Nein, auch das nicht, Herr Meyenbeeker, oder wie Sie heißen. Ich bin noch ziemlich gut beieinander.« Er tippte sich an die Stirn, griff nach dem Glas und trank es mit einem Zug leer.
    Henry staunte, welche Veränderung in Jürgen Templin bei diesen Worten vor sich gegangen war. Oder war es ein letztes Aufbäumen, eine Fantasie, an der sich der Ertrinkende festhielt?
    »Als wenn das noch nicht genug wäre   – dann haben sie mich um mein Weingut betrogen, aber ich kann’s nicht beweisen. Kurz nach dem Unfall war ich zu nichts zu gebrauchen, und die Situation haben sie ausgenutzt, die Bank, der neue Besitzer, Johansen und der Fahrer. Er hat Unterlagen geklaut, Kreditverträge, weil ich Land gekauft und die Raten nicht pünktlich bezahlt habe. Da wurde auf einmal alles fällig   – und ich wurde alles los. Warum hat er nur von allen Leuten den Fahrer behalten? Weil alle anderen Mitarbeiter zu mir gehalten haben, und wenn Sie Johansens Weine probieren   …«
    Jürgen Templin machte eine Pause und sah Henry durchdringend an, das Misstrauen kam zurück. »Wieso erzähle ich das einem Journalisten? Ihr seid doch alles Halunken, Lohnschreiber. Aber sehen Sie, so egal, so scheißegal ist mirdas alles. Und wenn Sie mir das nicht glauben, wieso wollen Sie mir dann glauben, wenn ich Ihnen was über den Kaiserstuhl erzähle und Ihnen Tipps gebe?« Er zuckte müde mit den Achseln, stand auf und ging zur Toilette.
    Der Wirt trat mit geheimnisvoller Miene an den Tisch. »Es ist ein Jammer. Unglaublich, was aus einem so guten Mann geworden ist. Liegt er Ihnen auch mit seiner unendlichen Geschichte in den Ohren?« Er verdrehte genervt die Augen.
    Henry nickte. Was hätte er sagen sollen? Der Wirt hatte diese Geschichte zu oft gehört, um sie zu glauben. Aber   – hätte die Fliehkraft in der Kurve einen Wagen nicht nach außen tragen müssen statt nach innen, nach links? Andererseits, dass jemand Augen auf den Besitz eines anderen warf und bei ihm auf einen Moment der Schwäche wartete, um ihm die Beute abzujagen, war gang und gäbe, feindliche Übernahmen waren an der Tagesordnung. Außerdem starben pro Jahr einige tausend Menschen auf den Straßen.
    Templin kam zurück, setzte sich und starrte dem Wirt böse hinterher. »Er erzählt überall herum, dass ich kaputt wäre, mit diesem ekelhaften sozialpädagogischen Unterton.«
    »Und   – sind Sie das nicht, als Alkoholiker?«
    Jürgen Templin begriff nicht, wie Henry die Frage meinte, er war verwirrt, so wie anfangs,

Weitere Kostenlose Bücher