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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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könne einstweilen ihre wunderbaren Weine probieren. Aber er wollte den Besitzer des Weingutes sprechen. Johansen, so die junge Dame weiter, sei auf seinem Weingut in Italien oder auf dem in Frankreich, sie wisse es nicht, die Mobilnummer dürfe sie nicht weitergeben, Henry könne ja morgen den Geschäftsführer danach fragen.
    Henry ließ sich einen Grauburgunder einschenken, weniger aus Interesse, als um die Zeit totzuschlagen. Der Wein erinnerte allerdings in keiner Weise an die körperreichen und aromatischen Tropfen des Vorbesitzers, die ihn vom deutschen Grauburgunder und von Templin als Winzer überzeugt hatten. Hier war das Aroma schwach, die Säure flau, ein glatter Wein, der auf der »Fein«-Hefe so lange weichgeklopft worden war, bis nichts mehr von ihm übrig war. Und dann kam ein penetranter Holzgeschmack vom Barrique hinzu, also ein Stil für die Edelgastronomie. Dagegen wirkte der Pinot Grigio, einst Modewein und im italienischen Veneto zu Millionen abgefüllt, geradezu spritzig. Der Wein hatte genauso wenig mit den ehemals »Ruländer« genannten Grauburgundern gemein, die aus sehr reifen und mit zum Teil edelfaulen Trauben gekeltert worden waren. Ein Johann Ruland hatte 1711 diese Trauben, eine Mutation des Spätburgunders, in einem Garten in Speyer entdeckt und sie bekannt gemacht.
    Zu allem Unglück war das Etikett der Flasche wie auch das Interieur des Weingutes in den Farben Italiens gehalten. Wollte da jemand auf einer längst ausgelaufenen Welle surfen? Wieso hatte Jürgen Templin seinen Besitz an jemanden mit dieser Wein- oder Lebensauffassung verkauft? Weshalb hatte er überhaupt verkauft? Was war geschehen? Von einem Unglück wusste die gestylte Frau nichts.
    Henry griff nach dem Prospekt des Weingutes mit demNamen »Lebenstraum«, in dem der »engagierte Winzer«, Herr John Johansen, Reben schnitt, Trauben betrachtete, das Pressen kontrollierte, neugierig den Weinheber ins Barrique tauchte und lachend Gläser füllte. Nach Jahrzehnten in Vorstandsetagen hatte er sich mit diesem Weingut den Lebenstraum erfüllt. Den im Hof herumstehenden Autos nach kauften hier seine früheren Vorstandskollegen ein. Von Imagebildung verstanden sie offensichtlich mehr als von Wein. Obwohl Henry nicht aus dem Weinmilieu stammte, hatte er gelernt, von Wein auf den Charakter des Gutsbesitzers zu schließen. Und er irrte selten.
    Der Spätburgunder danach war mehr als gut, typisch für die Rebsorte, er duftete nach Kirsche und Brombeeren, Mandel wäre noch möglich gewesen, Vanille und Zimt waren kaum spürbar, also war er nur kurz im gebrauchten Holzfass gewesen oder durch lange Lagerung gereift. Seine Rundungen sprachen für Letzteres. Henry fragte nach dem Jahrgang, wollte die Flasche sehen.
    »Es ist eine Sonderabfüllung«, meinte die junge Frau, »wir lagern sie im großen Fass, der Wein ist schon älter. Ich glaube, es ist der erste Jahrgang, nachdem mein Chef dieses Gut wieder nach vorn gebracht hat.«
    Dann wird es Templins letzter Burgunder gewesen sein, dachte Henry, der letzte Jahrgang, der sein Schaffen zeigte. In einer Vitrine sah er einen drei Jahre alten Spätburgunder.
    »Den würde ich auch gern probieren.«
    Die Gestylte musterte die Batterie der Probeflaschen. »Davon ist leider keine offen.«
    »Dann öffnen Sie bitte eine.«
    »Die Probe kostet fünf Euro pro Glas.«
    Henry nickte. »Das kann ich mir gerade noch leisten.« Also folgte man der Strategie, sich über hohe Preise ein edles Image zuzulegen. Hier herrschte der Geist des Geldes und nicht der Geist des Weines. Nach dem ersten Schluck wusste er, dass mit fünf Euro sogar die ganze Flasche überbezahltwar. Der erste Wein des neuen Besitzers? Der sollte sich besser um ein Weingut richtig als um drei halbherzig kümmern.
    Auf einem Sockel vor der Fensterfront stand das Modell eines Gebäudes, das mit rechten Winkeln, glatten Flächen mit viel Glas und einer Kastenbauweise von Le Corbusier hätte entworfen sein können. »So wird es hier eines Tages aussehen«, sagte die junge Dame strahlend, »die Bauarbeiten beginnen nächstes Jahr. Alles wird abgerissen, nur die Keller bleiben erhalten. Wir wollen mit der Zeit gehen.«
    Nur wohin?, fragte sich Henry und starrte kopfschüttelnd über das Modell hinweg auf den vorgefahrenen Lieferwagen. Auch er war mit »Lebenstraum« beschriftet. Ein bärtiger Mann um die vierzig in Drillichhose und Muskelshirt, die Arme tätowiert, stieg aus und kam mit Zetteln in der Hand in den Probierraum. Die

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