Sein letzter Burgunder
Saftigkeit betonenden Säure, die dem Wein sein Leben gab, und auch der mineralische Anklang fehlte nicht.
Alle oder keinen, dachte Henry, ich muss sie alle ins Sortiment nehmen, alle machen Freude. Er würde ihn nicht zum Fisch trinken, höchstens zum Lachs, wohl aber zu hellen gebundenen Suppen empfehlen, zu zartem weißem Fleisch, und ein Nudelgericht mit Pfifferlingen konnte er sich gut dazu vorstellen. Ihm lief bei dieser Vorstellung das Wasser im Mund zusammen. Er zwang sich zurück in die Wirklichkeit – und zum nächsten Dreigespann. Jetzt waren drei Spätburgunder an der Reihe.
Sie gefielen ihm schon der Farbe wegen. Es war nicht das tintenhaft Undurchsichtige vieler marmeladiger, gekochter und satt machender Weine Spaniens, wie Alan Amber sie pries. Sie waren dicht, obwohl sie hell und durchschimmernd blieben. Stiglers Pinot noir QbA vom Lössboden war ein Vertreter dieser Art. Henry störte nur, dass er ein leichtes Himbeeraroma wahrzunehmen glaubte. Obwohl die Lage am Freiburger Schlossberg nicht zu seinem Forschungsgebiet gehörte, überzeugte er ihn auf Anhieb. Er war dunkler,er war beerig, Kirsche und Brombeere hätte man herausriechen können. Die Samtigkeit des Weins war dem feinen Tannin zu verdanken und der langen Reifezeit. Das Große Gewächs trug den Namen zu Recht. Statt einer detaillierten Beschreibung notierte Henry, dass dieser Wein durchaus ein Grund war, in den Kaiserstuhl zu reisen. Die französischen Winzer des Burgund hatten den Standard für diese Rebsorte gesetzt, die Messlatte angehoben und die Preise noch mehr. Letzteres würden sie in Zukunft bereuen …
»Was halten Sie von Alan Amber?«, war Henrys letzte Frage, als man sich an den Mittagstisch setzte.
5
Vulkanfelsen
Von Isabella geweckt zu werden empfand Henry selten als unangenehm, auch nicht per Telefon. Sie ließ ihm Zeit, wach zu werden, ihre weiche Stimme sagte Worte, die er gern hörte. Heute jedoch enthielt sie sich aller schönen Worte.
»Irgendwer hat letzte Nacht die Türen aufgebrochen und Chlorbleichlauge in die Tanks geschüttet!«
Der Wein war damit ungenießbar. Chlorbleichlauge wurde zur Desinfektion von Wasser und auch zur Reinigung von Schwimmbädern verwendet. Jetzt hatte der E-Mail -Schreiber seine Drohung wahr gemacht – und das wahrscheinlich mit Hilfe von Mitarbeitern der Kellerei.
»Der alte Feind steht in den eigenen Reihen.« Das Aufbrechen der Türen diente nur dazu, eine falsche Fährte zu legen. »Von den Wachleuten hat niemand was gesehen?«
»Natürlich nicht.«
»Stecken sie mit drin? Sprich mit ihnen als Erste.«
»Das ist genau das, was Capitán Salgado geraten hat.«
»Du hast ihn also gleich informiert.«
»Ich habe erst meinen Vater verständigt, dann Salgado, danach die Polizei und jetzt dich. Ich habe niemanden in die Halle mit den großen Tanks gelassen und verhindert, dass die Arbeiter mögliche Spuren zertrampeln, ich glaube, genau das war beabsichtigt.«
»Du entwickelst dich zur Kriminalistin. Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.«
»Du irrst, mein Liebster. Es ist auch mein Wein, das sehe ich als Angriff gegen mich, gegen meine Familie und gegen alle Mitarbeiter, und so werde ich es darstellen. Die Gratifikation ist für dieses Jahr gekürzt, falls die Versicherung nicht zahlt.«
»Kollektivstrafen bringen nichts.«
»Das ist keine Kollektivstrafe, die Wirtschaftslage ist schwierig genug, uns fehlt schlicht das Geld.«
»Wie viele Liter sind verdorben?«
»Zwei Tanks à zwanzigtausend Liter – der Grundwein für die Gran Reserva vom letzten Jahr. Da wusste jemand, wo er uns treffen kann.«
»Wie viel macht das aus? Ich schätze mal …«
»… das sind etwa zweihunderttausend Euro Schaden – nur an Material und Arbeit, den verlorenen Gewinn nicht eingerechnet.«
»Eine Katastrophe! Hast du einen Verdacht?«
»Ich werde mir die Personalakten vornehmen. Mein Gefühl sagt mir, dass mein Bruder dahintersteckt, er will uns terrorisieren. Er muss hier Handlanger haben, ich rede mit jedem. Salgado wird sich im Gefängnis informieren, ob Diego in irgendeiner Gangstertruppe mitmischt oder ob es dort Neonazis gibt.«
»Das würde zu ihm passen.«
»Du sagst es! Er ist der Erbe von Don Horàcio, nur ist er neben seiner Bosheit auch intelligent. Erinnere dich, welche Gruselveranstaltung Großvaters Beerdigung war, die Lemuren der Franco-Diktatur kamen aus den Gräbern gekrochen. Aber die spanischen Neonazis sind anders als die bei euch, sie
Weitere Kostenlose Bücher