Sein letzter Burgunder
als Henry geschwiegen hatte. Das waren eigentlich vernünftige Reaktionen. Er war gespannt auf seine Ausrede, sie hatten alle eine für ihre Sucht, wenn sie tranken.
»Ich hatte gerade einen Gedanken …«
»Reden Sie, was fällt Ihnen zu mir ein? Dass ich gestrandet bin, süchtig und zu feige, mich dem Leben zu stellen, dass ich aufgegeben habe?«
»Sie langweilen mich.« Henry ging ihn hart und offen an, wozu um den heißen Brei herumreden? »Es geht nicht immer nur um Sie, Herr Templin. Sie sind nicht das Zentrum der Welt. Hätte es Ihrer Frau gefallen, Sie hier jammern zusehen? Hätte Ihr Sohn noch Respekt?« Die Mitleidsmasche des Wirts, der ihm den Stoff verkaufte, lag Henry nicht.
»Was gibt Ihnen das Recht, so mit mir zu reden?« Jürgen Templin brauste auf.
»Ich bin gekommen, weil ich Sie für einen großartigen Winzer halte, jemanden, der mit Herz und Verstand arbeitet. Sie könnten mir helfen.«
»Weshalb sollte ich das tun?«
Henry kümmerte sich nicht um den Einwand. »Ich will Folgendes von Ihnen wissen …« Er redete auf Templin ein, die Schilderung seines Vorhabens ließ den Winzer nicht einmal nach seinem Glas greifen, und wenn er den Arm danach ausstreckte, packte ihn Henry am Arm, um die Aufmerksamkeit auf sich und vom Glas weg zu ziehen. Schließlich legte er einen Block und einen Kugelschreiber vor Templin.
»Schreiben Sie mir bitte alle Winzer auf, die ich besuchen sollte, die gute Weine machen, mit denen sich der Kaiserstuhl international präsentieren kann, die beim Spätburgunder den Vergleich mit dem Burgund nicht scheuen.«
Völlig verdattert begann Templin zu schreiben, seine Hand zitterte leicht, jetzt schämte er sich dafür. Henry schaute weg, bis Templin ihm die Namensliste in der krakeligen Schrift zuschob. »Es gibt noch einige, die auch schöne Weine machen, aber die fallen mir nicht ein.« Dann rief er nach dem Wirt, der ihm ohne zu zögern ein neues Viertel brachte.
Henry schaute auf die Namen. Einige kannte er, andere nicht, einige hatte er in Weinführern gefunden, andere nicht, einige hatte Dorothea ihm genannt …
Stigler, Johner, von Gleichenstein, Salwey, Heger, Michel, Pix (Bio), Probst, Schneider, Schätzle, Blankenhornsberg und Gretzmeier.
»Bei den Genossen steht Sasbach an der Spitze, gefolgt von Oberbergen und Achkarren. Und den Huber dürfen Sie nicht vergessen. Malterdingen gehört zwar nicht zum Kaiserstuhl, aber der macht einen richtig guten Müller-Thurgau,und sein Spätburgunder ist …« Templin zuckte mit den Achseln, ihm fehlten die Worte, »… grandios, viel besser als – meiner damals«, schob er nach.
Die Namen reichten Henry, und als er aufblickte, bemerkte er Templins wachen und lauernden Ausdruck.
»Aber Sie sind nicht nur wegen der Winzer gekommen, Herr Meyenbeeker. Was suchen Sie bei der Challenge? Sie sind Ambers wegen hier, stimmt’s? Das ist ein verdammter Gangster, alle hält er zum Narren, und alle fallen darauf rein.«
»Sie kennen ihn?«, fragte Henry erstaunt. »Woher?«
»Seit ewigen Zeiten, aus Italien. Der und der Johansen, die sind vom selben Schlag, sie nutzen jeden Vorteil, der sich bietet, jeden, und das meine ich so, jeden. Aber das ist lange her, viel zu lange. Herr Wirt, noch ein Viertele von dem Grauen …«
»Sie sind nicht nach Baden-Baden eingeladen?«
»Ich?« Templins Lachen hörte sich hässlich und nach Selbstverachtung an. »Mich einladen? So kaputt? Wozu? Außerdem – früher habe ich mal in Hamburg mitgemacht, und damit war ich Persona non grata.«
Mit diesen Worten war Templin am Ende, fertig, leer, er wollte nicht mehr reden, müde stützte er den Kopf in die Hände und schwieg. Er blickte nur auf, als der Wein kam.
Henry verabschiedete sich, ohne ihn nach seiner Adresse und Telefonnummer zu fragen. Beides gab ihm der Wirt. Von ihm bekam Henry auch die Adresse eines Weingutes bei Vogtsburg, wo er übernachten konnte. Es verfügte nicht nur über einen weiten Blick über die Rheinebene, es lag auch verkehrsgünstig.
Er hatte sich vor der Reise gefürchtet – vor der Zerrissenheit seiner ehemaligen Landsleute, vor ihrer Unfreundlichkeit und Angst, die so schnell aggressiv wurde, vor dem Misstrauen, der Unfähigkeit zum Genießen – und dabei lebtensie weitaus besser als jeder gewöhnliche Spanier, wirtschaftlich gesehen, besonders seit den Sparmaßnahmen nach dem Platzen der Immobilienblase. Henry fürchtete die deutsche Zerrissenheit auch im Verhältnis
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