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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Templin war auch dafür ein Beispiel. Hatte der Nachbesitzer, dieser Johansen, tatsächlich seine Notlage ausgenutzt und ihn absichtlich um sein Weingut gebracht, oder war das der Fantasie eines Alkoholikers entsprungen?
    Ich mische mich nicht ein, sagte sich Henry und merkte doch, wie Templins Worte ihn beschäftigten und er sich fragte, was man   – beileibe nicht er   – in dieser Richtung unternehmen könnte. Würde es Templin nutzen? Höchstens nach einer erfolgreichen Entziehungskur   … aber der musste er sich freiwillig unterziehen. Gab es für ihn einen Ansporn, seinen Schmerz zu überwinden? Vielleicht sein Stolz   …
    Vor der Sasbacher Kellerei blieb Henry im Wagen sitzen und dachte über Isabellas Anruf nach. Welcher Wahnsinnige ließ sich zu einem Säureattentat hinreißen? Waren Isabella oder ihr Vater das nächste Ziel? Oder sogar er selbst? Sollte er in Baden-Baden absagen und zurückfliegen? Er sollte Emilio Sotos anrufen, der war zurzeit Präsident der Kooperative. Auf ihn war Verlass, auf ihn und die anderen dreißig Mitglieder, sie konnten sich umhören. Sie bekamen zehnmal mehr gesagt als die Polizei, obwohl Salgados Beziehungen ziemlich weit reichten, für Henrys Geschmack manchmal zu weit. Würde eventuell die Belegschaft von Bodegas Peñasco helfen, den zu finden, der die Chlorbleichlauge in die Tanks geschüttet hatte?
    Es war zu heiß, um zur Ruine der Limburg oder das, was von ihr übrig war, hinaufzusteigen. Die Pfarrkirche St. Martin mit ihrem romanischen Glockenturm war sicher kühl, aber das war es im Wagen auch. Henry blieb sitzen und blätterte in den Unterlagen der Sasbacher Winzergenossenschaft.Sie existierte seit 1936, Lagar dagegen war mit sechs Jahren sehr jung.
    Er erinnerte sich an die schwierige Gründungsphase. Sie war von harten Auseinandersetzungen geprägt gewesen, von Misstrauen und Neid, von Anfeindungen, Rufmord. Und anfangs waren sie knapp am Bankrott vorbeigeschrammt. Aber das Ziel, sich von Aufkäufern unabhängig zu machen, hatte die Weinbauern erreicht. Er hatte ihnen Miguelito vermittelt, einen fähigen Önologen und Diplomaten. Dass Miguelitos experimentierfreudige Schwester Amanda jetzt die Arbeit weiterführte, hatte zunächst zum Streit geführt; die Männer hatten sich nur schwer damit abgefunden, dass eine Frau ihnen erklärte, wie sie sich die Arbeit im Weinberg vorstellte.
    Henry erschrak, er verträumte seine Zeit, er stieg aus und lief rasch auf den Eingang der Kellerei zu.
    Unter insgesamt sechshundert badischen Rotweinen hatten es drei Spätburgunder der Sasbacher unter die Top Ten geschafft. Für eine Spätlese und den im Barrique gereiften Wein gab es beim Mondial du Pinot Noir, einem Spätburgunder-Wettbewerb, eine Gold- und eine Silbermedaille. Dazu stand der Deutsche Rotweinpreis des europäischen Weinmagazins Vinum auf der Trophäenliste. Schließlich hatte diese Genossenschaft, eine der kleinsten am Kaiserstuhl, als punktbester Betrieb aller Teilnehmer aus ganz Baden den Ehrenpreis des Badischen Weinbauverbandes erhalten.
    Medaillen, Auszeichnungen und Preise bedeuteten den Genossenschaften viel, sonst hätten sich nicht derart viele Wettbewerbe halten können. Medaillen halfen beim Verkauf, vor allem im Regal vom Supermarkt, wo es nicht einmal mehr Personal gab, um einem die Kühltheke zu zeigen. Wenn auf irgendeiner Packung, ob Weinflasche oder Margarineschachtel, eine Münze abgebildet war, stieg im Auge des Betrachters die Wertigkeit. Ob sie von einem Gremium verliehen, von einer Zeitschrift vergeben oder von einer Werbeagentur erfundenwar   – das wussten nur die Eingeweihten. Dann gab es die große Gruppe der selbst ernannten Experten, internationale Weinkritiker wie Alan Amber, die Internet-Wein-Portale, die Wein-Blogger, Sommeliers, Kellermeister und Winzer des Jahres. Gerade das machte das Probieren unerlässlich.
    Man gab so viel auf diese Medaillen und Prämierungen, weil man   – anders als bei Weingütern mit familiärer Tradition, wo sich eine persönliche Story über die Winzerfamilie erzählen ließ   – schlecht die Lebensgeschichten der dreihundertdreißig Genossen aus Sasbach erzählen konnte. Wieso eigentlich nicht, wenn die Geschichten gut waren? Henry hatte im Prospekt von Lagar genau das getan, die Geschichte der Gründung haarklein wiedergegeben, mit allen Höhen und Tiefen, mit Zitaten der Feinde und der Freunde. Das war glaubhaft und unterschied sich wohlwollend vom üblichen Reklamegewäsch, dass man

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