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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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haben Beziehungen bis in die Spitzen der Gesellschaft, zu den Nationalisten und Franquisten der Partido Popular, zu den Hardlinern im Klerus, sie waren die Sieger des Bürgerkriegs. Die Schwarzhemden auf den Straßen taugen nur für die Drecksarbeit   …«
     
    Isabella wollte nicht, dass Henry seine Reise unterbrach. Hätte sie es gewollt, er wäre direkt zurückgeflogen, um bei der Aufklärung des Anschlags zu helfen. So durfte er sich lediglich Sorgen machen und ein schlechtes Gewissen haben. Das passte überhaupt nicht zum Wetter. Die Sonne knallte, keine Wolke stand am Himmel, gestern hatte er es schon als extrem heiß empfunden, der fehlende Regen war unter den Winzern bereits ein Thema. In diesem Jahr war bislang nur knapp ein Drittel der üblichen und nötigen Regenmenge gefallen.
    Nach einem guten Frühstück in der Winzerstube fuhr Henry nach Sasbach, wo er in der Winzergenossenschaft verabredet war. Wenn er die Weinberge hätte besichtigen wollen, hätte er mit einem Begleiter sofort aufbrechen müssen, aber erst waren der Kellerrundgang und die Proben angesagt. Henry war froh, dass überhaupt jemand Zeit für ihn fand, und gegen Mittag würde das Licht viel zu intensiv und die Hitze zu groß sein, um sich zwischen aufgeheizten Mauern aus Lavasteinen zu bewegen.
    Einen Begleiter brauchte er auf jeden Fall, denn ob da draußen jetzt Früh-, Spät- oder Weißburgunder wuchs   – auch wenn er die Weinstöcke aus nächster Nähe betrachtete, würde er es nicht sagen können. Die sägeblattartigen Blätter waren zu ähnlich, schließlich waren Weiß- und Grauburgunder eine Mutation des Spätburgunders und kaum voneinander zu unterscheiden.
    In der Behauptung, dass die Spät- oder Blauburgunderrebe an der Spitze aller Reben stand, waren sich die Winzer weltweit einig. Sie wuchs überall, jedoch nur, wenn es ihr passte. Extreme Kälte und Hitze waren ihr gleichermaßen zuwider, aber wer auf das Mittelmaß dazwischen zusteuerte, konnte auch nicht damit rechnen, großartige Ergebnisse zu erzielen. Die blaue Traube entwickelte sich, wie sie wollte, sie stellte an den Boden und das Klima genauso hohe Ansprüche wie an die Kellertechnik nach der Lese. Nichts warbei ihr sicher, kein Ergebnis stand vorher fest, und unter den Weinerzeugern wagten sich nur diejenigen an Pinot Noir heran, wie sie in Frankreich hieß, die mit ihr umgehen konnten. In Deutschland war sie am Bodensee zuerst als »Clavner« gepflanzt worden, im Bodmaner Königsgarten. Die Anweisung dazu hatte Karl III. im Jahr 884 gegeben, ein Urenkel Karl des Großen, der Clavner aus dem Burgund hatte holen lassen. Da hatten die aus dem Burgund stammenden Mönche des Klosters Eberbach ihn um 650 unter dem Namen »Klebrot« längst im Rheingau angepflanzt. Viertausend Jahre vor den Karolingern und ihren römisch-deutschen Königen hatten bereits Menschen am Kaiserstuhl gelebt, den Weinbau hingegen hatten die römischen Besatzer eingeführt. Um ihre Soldaten bei Laune zu halten, fragte sich Henry beim Lesen der Unterlagen, die er bei jeder Gelegenheit einsammelte, um ihnen die Angst vor der nächsten Schlacht zu nehmen   – oder um die Feinde betrunken zu machen? Aber die Germanen betranken sich lieber am Honigwein.
    Als Jürgen Templin noch alle Sinne beieinander gehabt hatte, erinnerte sich Henry, also vor dem Unglück, hatte auch er mit der Rebsorte »gespielt«. Arbeit hatte er es nicht nennen wollen, denn die kapriziöse Rebsorte verweigerte jede Logik. Alles konnte man falsch und nichts richtig machen, wem es gelang, mit dem richtigen Klon auf dem passenden Boden bei idealem Witterungsverlauf und den richtigen Eingriffen im Weinberg die Trauben gut in den Keller zu bringen, dem stand noch die Kellerarbeit bevor. Auch hier ließ sich alles verderben, wenn zum Beispiel der biologische Säureabbau Fehltöne in den Wein brachte.
    »Du steckst nicht drin«, hatte Templin damals gesagt. Und er vertrat auch die französische Sichtweise, dass Spätburgunder, ähnlich dem Riesling, zwar eigene Charakteristika besaß, aber mehr als Werkzeug diente, die lokalen Gegebenheiten auszudrücken, also ein typischer Terroirwein war.
    Templins Mühen hätten häufig mit Medaillen belohnt werden müssen, aber »er stellte sie nicht an«, wie es in der Fachsprache hieß, er reichte die Weine nicht zur Beurteilung ein, außer zur obligatorischen Prüfung durch den Weinbauverband. Henry kannte keinen Winzer, der wirklich gute Weine machte und dabei arm geblieben war.

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