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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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auch, und dann zog es mich in die Welt. Ich studierte in Südamerika und Australien, in Neuseeland und Südafrika, ich probierte und äußerte meine Meinung. Die Zustimmung, die ich erfahren habe, bestätigte mein Urteil.«
    Ein befreundeter Bankier, dem er einen Weinkeller eingerichtet habe, sei auf die Idee mit dem »Triple A Magazine« gekommen   – Alan Amber Ambitions. »Und diesen Ambitionen folge ich bis heute!«
    Henry hatte immer ein schlechtes Gefühl, wenn er TripleA hörte. Triple A   – das dreifache A   – das war die Antikommunistische Allianz Argentiniens, eine halb staatliche Mörderbande während der Militärdiktatur von 1976.   Zigtausend Menschen hatte sie umgebracht, Psychologen, Gewerkschafter, Autoren, Filmschaffende, Musiker, Sozialarbeiter, christliche Aktivisten und Guerilleros. In Barcelona war er den Flüchtlingen begegnet, Argentiniern, die heute noch das Exil der Heimat vorzogen, um nicht einem der Mörder von damals in den Straßen von Buenos Aires zu begegnen. Das Triple A der Rating-Agenturen schmeckte genauso ekelhaft.
    Er hatte nicht zugehört, war abgeschweift und brauchte einen Moment, um zurück ins Englische zu finden, denn in seinem Kopf mischten sich bereits zwei Sprachen.
    »Ich habe niemanden aufgefordert, mein System der hundert Punkte zu übernehmen. Es ist keiner gezwungen, sich anzupassen. Jeder hat das Recht, Weine anders zu bewerten als ich, und ich habe auch nie behauptet, mit meinen Bewertungen und mit den Beschreibungen im Recht zu sein. Wenn sich angeblich, was mir immer wieder vorgeworfen wird, Menschen zu Jüngern machen, dann ist diese Kritik die reine Hypokrisie und scheinheilig. Will man es mir zum Vorwurf machen, dass andere Menschen nicht genug Eigenständigkeit und Selbstvertrauen haben, dass sie einen
Führer
brauchen? Verzeihen Sie, dass ich dieses Wort in Deutschland verwende, aber ist es nicht vielmehr so, dass jeder nachprüfen sollte, ob er meiner Meinung folgen kann? Wenn ich einem Wein fünfundneunzig Punkte gebe, dann tue ich es auf meine Verantwortung hin, auf der Grundlage meiner Erfahrung und meiner Wahrnehmung. Und die muss niemand teilen. Wenn jemand glaubt, er sollte sich mit Fünfundneunzig-Punkte-Weinen eindecken, weil es eine gute Kapitalanlage ist, dem kann ich nur sagen: Trinken Sie den Wein, gemeinsam mit Freunden und Bekannten   …«
    Zum ersten Mal während seiner Rede bekam Amber Beifall, für Henry ein Indiz der kritischen Haltung ihm gegenüber.Außer den Weinhändlern und den Bordeaux-Châteaux war niemand mit den Punkten glücklich, und die auch nur, wenn Amber den Wein vor dem Verkauf bewertet hatte, denn dann brauchten sie sich keine Sorgen um den Absatz zu machen und konnten an der Preisschraube drehen.
    »Mir wird vorgeworfen«, fuhr Amber fort, »dass Winzer Weine mir zum Gefallen machen, dass sie sich nach meinem Geschmack richten, dass sie mir zuliebe bewusst auf den eigenen Stil und die Besonderheiten ihres Terroirs verzichten. Das ist barer Unsinn. Meine Vorlieben sind viel zu weit gefächert. Und wenn es doch der Fall wäre, wie könnte ich sie daran hindern?«
    In diesem Moment bemerkte Henry den Mann, der mit einem Strauß gelber Rosen links vor der Bühne an der Wand lehnte. Es waren von dort aus nur wenige Schritte bis zum Podium. Der Mann war sicher über fünfzig, kräftig und groß, eine stattliche distinguierte Erscheinung in einem eleganten Anzug. Vielleicht hatte Heckler ihn abgestellt, um Amber die Blumen überreichen zu lassen.
    »Es lohnt sich immer für den Konsumenten, wenn er dem eigenen Geschmack vertraut.« Amber war lauter und eindringlicher geworden. »Für den Laien ist es schwer, die seriösen Verkoster, die ich heute Abend hier vor mir sehe, von den unseriösen und den Scharlatanen zu unterscheiden   …«
    Wieso setzte der Mann mit den Blumen sich bereits jetzt in Bewegung, fragte sich Henry und sah ihn mit raschen Schritten die Treppe nehmen, die Rede ist noch gar nicht zu Ende? Der Mann erreichte das Rednerpult und stieß dem überraschten Amber den Strauß gelber Rosen mitten ins Gesicht. Ein Blitz flammte auf   …
    In schweigender Überraschung folgten alle im Saal dem Unfassbaren. Amber taumelte zurück, die Blumen fielen zu Boden, der Angreifer schlug Amber mehrmals mit der fla chen Hand ins Gesicht. Das Klatschen, als die Handfläche das Gesicht traf, war in der entsetzten Stille bis in die letzteReihe zu hören. Der nächste Kamerablitz ließ die Kontrahenten auf der Bühne

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