Sein letzter Burgunder
dessen Weine von Amber katastrophal bewertet worden waren, worauf ihm die Bank die Kredite gestrichen hatte. Angeblich waren seine Proben mit anderen verwechselt worden, und es hielt sich das Gerücht, dass Amber für seinen Kommentar im »Triple A Magazine« vom Nachbarn des Angreifers bezahlt worden sei. Eine zweite Version machte die Runde, dass Amber etwas mit der Frau des Winzers angefangen habe, worauf die Ehe in die Brüche gegangen sei. Aber Genaues wusste niemand.
»Wozu müssen wir uns Gemeinplätze von einem abgehalfterten Politiker anhören?« Henry hatte laut gesagt, was viele dachten, und etliche Zuhörer reckten die Köpfe, das Getuschel nahm zu. Da rief jemand etwas auf Italienisch in den Saal. Wo es verstanden worden war, brandete Gelächter auf, jetzt wollten alle wissen, worüber so schallend gelacht wurde. Die deutsche Übersetzung sorgte dann für allgemeine Heiterkeit, denn Berlusconi sollte sich für Mitternacht mit einigen »jüngeren Damen« angesagt haben, die Herren möchten doch bitte so lange bleiben.
Koch dementierte, er hatte den Witz nicht verstanden, er wurde nervös und vergriff sich im Ton, als er die Juroren zur Ordnung rief. Er habe schließlich keine Studenten einer Weinbauschule vor sich, sondern Frauen und Männer in leitender Stellung. Aber die brauchten nach der Anspannung eines vielleicht langen Reisetags und besonders der Aufregung in der letzten halben Stunde dringend ein Ventil.
Viele standen auf, es bildeten sich Gruppen, man beratschlagte, was zu tun sei.
»Den Mann tue ich mir nicht mehr an«, sagte Henry empört zu Frank Gatow. »Ich gehe ins Casino. Kommst du mit?«, fragte er ein wenig leiser. »Am Roulette warten sie auf unseren Einsatz. Du kannst zur Not die Kameras verpfänden– oder das Weingut deiner Frau.« Die letzten Worte hatte er auf Englisch gesagt.
Frank wäre vielleicht geblieben, aber seine Frau knuffte ihn so lange, bis er aufstand und vorausging. Das Beispiel machte Schule, auch in anderen Reihen erhoben sich einige Zuhörer und schlossen sich an. Die Idee mit der Spielbank war verlockender, als dem Politiker zuzuhören. Neuigkeiten oder Erkenntnisse bezüglich des europäischen Weinbaus waren von ihm kaum zu erwarten. Für die Ausländer unter den Juroren war er trotz der angekündigten Kritik an der E U-Kommission sowieso bedeutungslos.
Betreten stand der Mann, der beinahe Ministerpräsident geworden wäre, neben Koch, und beide sahen ihr Publikum schwinden.
»Wir sehen uns morgen um neun Uhr zur Einführung in die Challenge«, rief Koch ins Mikrofon den Aufbrechenden nach. »Und setzen Sie nicht gleich alles auf eine Karte.«
Zumindest war ihm der Humor nicht vollends abhandengekommen, aber die Veranstaltung war gesprengt.
»Hast du gute Fotos gemacht?«, fragte Henry, Gatows Frau hatten sie in die Mitte genommen, und sie führten die Prozession aufgekratzter Weinverkoster wie der Rattenfänger von Hameln zum Casino.
»Ganz leidlich«, meinte Gatow, blieb stehen und hielt seiner Frau und Henry das Display der Kamera dicht vor die Nase.
»Sei vorsichtig damit, sie ist aus Gold«, scherzte Antonia Vanzetti. »Man hat ihn in Spanien dazu gemacht, zur Goldenen Nase, wie ich gehört habe.«
»Spricht sich das herum?« Es war Henry überhaupt nicht recht, so tituliert zu werden.
»In der Branche kennt man sich«, antwortete sie und lächelte gekonnt. Erst jetzt nahm Henry wahr, wie elegant sie gekleidet war. Sie trug eine glänzende schwarze Hose, eine weich fallende weiße Bluse mit hohem Kragen unddarüber eine Art schwarzen Gehrock. Wie Frauen so ein Kleidungsstück nannten, wusste er nicht.
Gatow hatte Henrys bewundernden Blick bemerkt. »Wenn sie die Lesekisten auf dem Schlepper in die Kelterhalle bringt, trägt sie das Abendkleid. Aber ehrlich – in Jeans und Kittel erkennst du sie kaum wieder. Mir ging es damals so. Ich habe sie bei einer Chianti-Probe in Siena getroffen und danach auf ihrem Weingut bei der Lese …«
»Er war nervös wie ein Achtzehnjähriger. Er hat Augen gemacht, so rund wie seine Brille, ich habe es gleich bemerkt, und er meinte, ich sähe es nicht. Männer sind so durchsichtig.«
Frank verabschiedete sich kurz, er wolle im Kurhaus wieder zu ihnen stoßen, daher ließen Antonia Vanzetti und Henry sich auf dem Weg dorthin Zeit, und sie erzählte von den jüngst gepflanzten Olivenbäumen und dem Betrug mit der Bezeichnung »Extra Vergine«. Mittlerweile hatten sie das Kurhaus erreicht und standen auf dem
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