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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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neutrales Thema ein, um nicht persönlich werden zu müssen: Seine jüngsten Erfahrungen aus dem Kaiserstuhl. Wie er ein Gespräch steuern konnte, hatte er hundert Mal geübt. Aber er kam nicht dazu, eine seiner Strategien anzuwenden, denn nach wenigen Bissen wurde Marion von einer Kollegin zum Mitkommen aufgefordert, es müsse dringend noch etwas geregelt werden. Dankbar lächelte Henry die Kollegin an, die sich beim Weggehen nach ihm umdrehte.
    »Wenn Sie zu den Juroren gehören, sollten Sie sich beeilen. Amber ist schon da.«
    Amber vorn und Amber hinten, in der Mitte und ganz oben   – die Amberisierung der Challenge ging ihm auf die Nerven. Er sah, wie sich an mehreren Tischen gleichzeitig die Gäste in festlicher Garderobe erhoben und dem Ausgang zustrebten. Es war Zeit, um einundzwanzig Uhr sollte die Veranstaltung beginnen, und Henry trank lieber noch schnell einen doppelten Cognac, als sich von der Auswahl der Torten, Eisspezialitäten, der Mousses und Cremes verführen zu lassen, um später nicht gegen den Schlaf anzukämpfen. Dass die Vorträge ihn wach halten würden, damit rechnete er nicht.
    Der Weg hinüber ins Kongressgebäude war kurz, es war eine auseinandergezogene Kette von Paaren und Gruppen, die hinüberstrebten wie die Motten zum Licht, angezogen von dem strahlend hell erleuchteten Gebäude. Die Eintrittskarten wurden kontrolliert, Henry vermisste Koch unter den Securitys, wahrscheinlich hatte Heckler eine weniger komplizierte Aufgabe für ihn finden müssen, und Henry nahm sich vor, den Kettenhund auch mal zu streicheln.
    Der große Saal im Kongresshaus war brechend voll, der Verlag hatte zur Eröffnung auch Geschäftsfreunde, die Presse und sicher etliche Persönlichkeiten der Stadt eingeladen. Die Challenge war im Konkurrenzgerangel des ausufernden Stadtmarketings sicher ein wichtiges Ereignis. In Baden-Baden wurde der Deutsche Medienpreis vergeben, wie er im Prospekt der Stadt gelesen hatte, und der Sportler des Jahres gekürt, hier stand das zweitgrößte Opernhaus Europas, Frieder Burda hatte sich sein eigenes Kunstmuseum hinstellen lassen, auf das Henry der Proteste wegen sehr neugierig war. Berlioz, Rachmaninow und Richard Wagner, den er so hasste wie alle seine Opern, waren hier gewesen, wie auch General Rostoptchin, der Moskau nach dem Einmarsch napoleonischer Truppen hatte anzünden lassen. Der Ex-KG B-Agent Putin hatte es nicht hierher geschafft, wohl aber seinVorgänger Jelzin. Da waren ihm Gogol und Tolstoi als frühe Besucher der Stadt lieber, Mark Twain und Gustave Flaubert sowieso.
    Henry lebte zu lange im Ausland, um noch zu wissen, wer zu den Promis gehörte, wer in der deutschen Weinbranche zurzeit wichtig war, wer gerade im TV und den Zeitungen genannt wurde und durch die Kochshows tingelte. Was war eigentlich die Steigerung von »gleichgültig«? Einige Gesichter meinte er schon mal irgendwo gesehen zu haben, vielleicht in einer Fachzeitschrift, berühmte Sterneköche, begnadete Sommeliers, Weinhändler und Winzer des Jahres, Vorsitzende von diesem oder jenem Verband, dazu die professionellen Wichtigtuer, Aldi-Wein-Apologeten und Lidl-Billig-Enthusiasten. Den Rummel um seine eigene Person hatte er nach seiner Wahl zur Nariz de Oro nur kurz ertragen und sich schleunigst auf sein Gebiet zurückgezogen. Die Auszeichnung hatte ihm allerdings sehr genutzt, es war anschließend leichter gewesen, Termine in den Bodegas zu bekommen und als kompetent erachtet zu werden, aber er hatte auch zynische Bemerkungen und abfällige Kommentare zu hören bekommen. Koch war nur ein Beispiel dafür, aber war sein Neid nicht die ehrlichste Form der Bewunderung?
    Hier und da nickte ihm jemand zu, winkte, wobei er nicht sicher war, dass ihm der Gruß galt. War das nicht Aguirre, der Zorn Gottes? Und auch AllesBio aus der Mancha war gekommen. Auch wenn ihm manche Gesichter bekannt vorkamen, fehlte ihm der entsprechende Name. Aber besser einmal zu viel gelächelt. Angestrengt hielt er nach Frank und Frau Ausschau, an ihrem wilden Haarschopf würde er sie erkennen. Aber stattdessen erblickte er Harald Winter, seinen ehemaligen Kollegen und heutigen Chefredakteur von Wein & Terroir. Winter war so lange befördert worden, bis er die höchste Stufe seiner Unfähigkeit erreicht hatte. Ein Wunder, dass der Verlag das aushielt. Sie wechselten einige höfliche Worte und verschoben ein längeresGespräch auf die nächsten Tage, denn die Winzerin aus Kalabrien hatte ihn entdeckt und winkte ihm freundlich

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