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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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wie Schauspieler wirken, die in ihrer Szene erstarrt waren. Nach dem dritten Blitz brach der Tumult los.
    Alle sprangen von ihren Sitzen, zwei Securitys stürzten nach oben, der Angreifer schüttelte sie mit Leichtigkeit ab und gab Amber, der sich mit hoch gerissenen Armen zu schützen versuchte, eine letzte Ohrfeige. Einer der Sicherheitsleute bekam einen Faustschlag ab, der ihn taumeln ließ, dann war auch Koch auf der Bühne, und mit ein paar Männer aus der ersten Reihe gelang es, den Angreifer zu Boden zu werfen.
    »Ja was für ein ungestümer Mensch ist das?«, fragte Frau Stöckli und machte große Augen. »Der ist ja völlig aufgelöst, der ist schier wahnsinnig vor Wut. Der muss einen unbändigen Hass verspüren   – oder? Was mag da vorgefallen sein? Vielleicht hat Amber sein Weingut ruiniert   – mit schlechten Punkten möglicherweise? Er soll wirklich etliche ruiniert haben, sagt man   – oder? Bordeaux liebt und hasst ihn. Ob das ein Franzose ist, einer von uns, von den Juroren?«
    Was sollte Henry dazu sagen? Er entdeckte Frank Gatow unter den Fotografen mitten im Blitzlichtgewitter wie bei einem Politikerempfang. Da kämpften auch die Fotografen   – jeder um das beste Bild. Henry grinste ungerührt, als er an die Schlagzeilen der Zeitungen von morgen dachte.
    »Brutaler Angriff auf Alan Amber« oder »Psychopath greift Weinpapst an!« »Gelbe Rosen als Tatwaffe«, oder »Zweikampf auf der Bühne«. Shakespeare hätte ein Drama daraus gemacht, der Italiener Dario Fo eine Groteske. Henry bedauerte, das nicht zu können, es hätte ihm Spaß gemacht. Frau Stöcklis Frage war durchaus richtig   – wie hatte Amber jemanden derart in Rage bringen können? Was war dem vorausgegangen?
    Ihn selbst ließ die Attacke kalt. Es war ein Spektakel, ein Schauspiel, das ihn nichts anging. Er hoffte lediglich, dassAmber jetzt nicht wutentbrannt abreiste und das Interview absagte.
    Weitere Wachleute waren auf der Bühne, die dem rasenden Mann, der auf Französisch fluchte, Handschellen anlegten. Da sah Henry, wie Koch dem Angreifer, der längst unschädlich gemacht war, die Faust ins Gesicht schlug   – und sich dann umsah, ob Heckler, der neben Alan Amber inmitten gelber Rosen kniete, es gesehen hatte.
    Was für ein Lump, dachte Henry, aus Niedertracht auf einen gefesselten Gegner einzuschlagen. Der angebliche Spanien-Experte hatte einen schlechten Charakter. Als die Saalbeleuchtung eingeschaltet wurde, zerrten vier Sicherheitsleute den noch immer tobenden Angreifer mit blutender Nase durch eine Seitentür, vorbei an Ambers Sekretärin, die mit flehend erhobenen Armen vor der Bühne stand und immer wieder schrie: »
Oh my God

    Jetzt wandte sich die Aufmerksamkeit wieder Alan Amber zu. Ein Sanitäter hockte sich zu ihm, verborgen von einer menschlichen Wand, nur Frank, längst auf der Bühne, hielt die Kamera mit ausgestreckten Armen weit über den Kopf und fotografierte von oben aus blind, bis Mitarbeiter des Verlags ihn abdrängten.

8
Spielerglück
    »Was soll der Blödsinn? Wozu sollen wir uns das anhören?« Henry war empört und laut geworden. Er musste im Programm überlesen haben, dass jetzt ein konservativer Landespolitiker, von dem er nie gehört hatte, eine Rede halten würde. Seinetwegen war er nicht nach Baden-Baden gekommen. Aus der Reihe vor ihm war die Information durchgesickert, dass sowohl der Spitzenkandidat wie auch seine Partei bei den letzten Landtagswahlen durchgefallen waren.
    »Einen Verlierer setzt man uns vor? Das ist ja noch schlimmer. Der hat ja nun überhaupt nichts mehr zu sagen   – und morgen erzählt er auf der nächsten Veranstaltung das Gegenteil.«
    »Leider sind sie alle so, auch bei uns!« Frau Stöcklis Kommentar zum Auftritt des Politikers, geschniegelt und gebügelt, mit dem implantierten Lächeln, traf den Kern des Problems. »Wer wird heutzutage noch freiwillig Politiker. Überall fehlt das richtige Personal. Aber wir haben in der Schweiz wenigstens Volksentscheide, da geht das alles nicht so einfach.«
    Amber blieb verschwunden, Heckler ebenfalls, der Attentäter war abgeführt. Mühsam versuchte Koch, die Anwesenden durch oft gehörte Aussagen über den europäischen Weinmarkt und die guten Aussichten für die Branche zu beruhigen. Aber es gelang ihm nicht, und dass er jetzt diesenPolitiker angekündigt hatte, noch dazu einen Mann ohne Einfluss, war wie Öl ins Feuer gegossen.
    Es hatte sich herumgesprochen, dass der Attentäter ein Winzer aus Bordeaux war,

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