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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Kiesweg am säulengestützten Vorbau unter vielarmigen Kandelabern, die man in Paris vermutet hätte.
    Das Kurhaus war im ausgehenden Klassizismus gebaut worden, als Baden-Baden längst in Mode war. Der Pariser Eduard Bénazet ließ 1855 die atemberaubend schönen Innenräume des Casinos von französischen Künstlern gestalten, die Vorlage bildete das Palais Royal in Paris, in dem sein Vater bereits die Spielbank betrieben hatte.
    Dann stieß Frank wieder zu ihnen, und zu dritt stiegen sie fast als Letzte nebeneinander die Stufen hinauf, wandten sich rechts dem Foyer zu und schlossen sich der langen Schlange vor dem Schalter an, wo jeder Besucher bei Vorlage des Ausweises registriert wurde.
    »Ist also nichts mit Geldwäsche«, flüsterte Gatow Henry zu. »Das klappt bei uns auch besser, nur sind die Gebühren höher. Bis zu dreißig Prozent nimmt die Mafia, aber danach ist dein Geld wirklich sauber.«
    »Hör mit dem Unsinn auf«, schimpfte seine Frau, »sonst denkt unser Freund noch, wir hätten damit was zu tun. Eine falsche Literangabe an einem Fass, und wir haben die Finanzpolizei am Hals.«
    »Und wie machen die Spezialisten das?«, wollte Henry wissen. »Aus Italien werden pausenlos irgendwelche Betrugsaffären gemeldet, zuletzt eine über sechstausend Tonnen Weinmost, der als Lambrusco deklariert war.«
    »Frag die Spezialisten. Wenn es so weit ist, gib mir Bescheid«, beruhigte ihn Gatow. »Wir kennen zuverlässige Leute   …«
    »Hör endlich auf damit«, seine Frau war jetzt richtig ärgerlich. »Darüber reißt man keine Witze. Nachher glaubt Signore Meyenbeeker noch, wir Italiener seien alle so.« Sie sah ihn entschuldigend an, und Henry beruhigte sie, er wusste, wie er derartige Sprüche zu nehmen hatte.
    An dem einer Theaterkasse ähnelnden Schalter gegenüber wurden die Jetons eingewechselt. Einen Mindesteintausch oder einen Spielzwang gab es nicht, Henry wechselte fünfzig Euro, einen Kitzel musste der Abend schon haben, seine Begleiter folgten dem Beispiel. Als die bunten Scheiben, nicht größer als der Deckel eines Gewürzgläschens, nach Farbe und Wert aufgeschichtet wurden, entstand ein leises, helles Klappern, ein Geräusch, das Henry den Abend über die Ohren klingeln ließ.
    »Man kann Nachschub holen, wenn man eine Gewinnsträhne hat«, meinte Antonia Vanzetti, die ganz zappelig wurde und ihren Mann damit sehr irritierte. Dann öffneten sich die Flügeltüren.
    Vor ihnen tat sich der aristokratische Luxus einer längst vergangenen Epoche auf. Rot und Gold, Louis XV. und Louis XVI., Glitzern und Schatten, Eklektizismus und Kitsch, opulente Stores und Mahagoni, Stuck und rote Teppiche. Schwere Kronleuchter mit Hunderten von Kerzen unter ausgemalten Decken spendeten ein warmes Licht. Skulpturen in halbrundenNischen beflügelten die Fantasie, die vielen Spiegel dienten der selbstverliebten Betrachtung, der Verdoppelung des Lichts, oder man konnte diskret, aus ungewöhnlicher Perspektive, die Frau des anderen beobachten. Von schweren Vorhängen eingerahmte Durchgänge führten in den nächsten Saal, verhängte Türen irgendwohin, und im Roulette flitzten die elfenbeinfarbenen Kugeln knapp am Spielerglück vorbei. Die Kleiderordnung erlaubte niemandem, seine Stachelbeerbeine vorzuführen, und sogar junge Frauen trugen über dem verwaschenen Top mit Spaghettiträgern eine hübsche Bluse.
    Es geht ja doch, dachte Henry, dem erst nach langer Abwesenheit deutlich wurde, wie schlecht gekleidet dieses Volk herumlief: grau, verwaschen, gebraucht und funktionell, in Tarnhosen wegen des fehlenden Militarismus, das Hemd über der Hose wurde zur Mode erklärt, und manche Leute behaupteten, es sei sogar schön. Aber die wirklich große Abendgarderobe fehlte auch hier. Oder war es dafür noch zu früh? Es war erst zweiundzwanzig Uhr.
    Mit den Kollegen der Challenge belebten sich die Räume. In diesem Kreis fühlte Henry sich wohl, die Stimmung war gut, die Neugier überwog die Skepsis bei weitem, obwohl sich hier wie in jeder Branche genug Rosstäuscher tummelten. Auch hier wollten die Worte gut gewählt sein, aber jedenfalls ließ die Neugier die Juroren aufeinander zugehen, heute nicht getrieben von dem Gedanken, wie sich daraus Geld machen ließ. Diese Art, so hatte er den Eindruck, war den Deutschen unter ihnen vorbehalten. Über allem stand für sie der wirtschaftliche Erfolg.
    Die Juroren fanden sich zu Henrys Befremden nach Nationalitäten zusammen. War es die Sprache, die verband? Die Franzosen

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