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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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plauderten mit Franzosen, die Italiener mit ihren Leuten, die Schweden blieben unter sich, und die Briten erst recht, und sie zeigten sich von dem Angriff auf Amber persönlich betroffen.
    Antonia Vanzetti fand das ganz normal. »Unter welchem Gedanken sollten wir uns sonst zusammenfinden? Nach Haarfarben   – oder noch schlimmer, nach Hautfarben, wie die Pferde? Mit meinem Mann hat Sie auch die Sprache verbunden, als Sie ihn neulich trafen.«
    »Nein, Signora, uns hat der Wein zusammengeführt, wie alle hier. Und dann war es seine Art, damit umzugehen.«
    »Sie müssen dem Menschen erst einmal nahekommen, damit er diese Art, wie Sie sagen, auch zeigen kann. Ich habe an einigen Wettbewerben teilgenommen. Das sieht morgen Abend ganz anders aus, wenn man einen Probentag hinter sich hat. Wer weiß, wer mit Ihnen in derselben Jurorengruppe ist.«
    »Man muss doch kommunizieren, sich über die Weine verständigen, das Organisatorische besprechen   …«
    »Warten Sie es ab. Es mischt sich, das ist unvermeidlich. Erinnern Sie sich an den Fragebogen, den man uns zugeschickt hat. Welche Sprachen man spricht? Danach wird ausgesucht. Ich habe vielleicht Franzosen und Italiener am selben Tisch   …«
    »…   die Winzer aus dem ›Il Calice‹?«
    »Ja, das wäre möglich. Das ist ein interessantes Paar, die beiden machen da unten in Süditalien eine schwierige Arbeit. Ich möchte nicht mit ihnen tauschen. Über ihren Wein kann ich natürlich nichts sagen, theoretisch kann man gut sein, praktisch eine Katastrophe   – aber jetzt will ich spielen.« Ihre Augen leuchteten auf. »Wozu habe ich schließlich die Jetons gekauft.« Sie hielt sie fest in der Hand. »Franco, wir gewinnen!« Sie zog ihren Mann hinter sich her.
    Der Roulettetisch vor ihnen war dicht umlagert, die Stühle direkt am grünen Tuch waren besetzt, dort saßen die richtigen Spieler, die sich wenig um Gewinne und Verluste scherten, für sie war das Spiel das Entscheidende. Niemand unter fünfzig war darunter, die Damen und Herren am Tisch befanden sich eher im Rentenalter, Männer, die ihreJacketts nur mit Mühe über dem Bauch zubekamen, Frauen, bei denen der Schmuck die Attraktivität der Jugend ersetzte. Die Jungen standen dahinter in der zweiten Reihe. Und die Euros, die ein »Hans Herrmann« oder ein »Klaus Peter« hinterlassen hatte, nahmen einen neuen Weg   – die Bank gewann fast immer. Dieses Gesetz galt hier mehr als anderswo. Der Bankvorteil betrug 2,7   Prozent.
    Antonia Vanzetti ließ den Blick schweifen, ihr Mann hatte sich verdünnisiert, er suchte nach Objekten für seine Linse oder die richtige Perspektive auf das Gesicht des Spielers. Wie würde er das bei dem Fotografierverbot bewerkstelligen?
    »Was darf ich Ihnen von der Bar mitbringen?«, fragte Henry. Er hatte Durst, er brauchte dringend etwas zu trinken, erst mal ein Wasser, dann   … »Ich lade Sie zu einem Glas Champagner ein. Das trinkt man im Casino.«
    »Trocken bitte, sehr trocken, möglichst Dosage Zero oder Extra Brut«, sagte sie, ihre Augen starr auf den Lauf der Kugel gerichtet, die jetzt durch die Zahlenfelder sprang und sich noch nicht entschieden hatte, wen sie für einen Augenblick glücklich oder unglücklich machen würde.
    Henry schlenderte zur großen runden Bar im Mosaiksaal, und es war, wie Signora Vanzetti gesagt hatte. Man meinte, dieses oder jenes Gesicht zu kennen, wechselte einige Worte, man hatte sich im Hotel beim Einchecken gesehen, im Speisesaal oder beim Eklat um Amber. Sicherlich hatte die Veranstaltung im Kongresshaus längst ein Ende gefunden oder war mangels Publikums abgebrochen worden. Wie peinlich für diesen Politiker, Henry hätte sich geschämt und sich sonst wohin verkrochen, wenn bei seinem Auftreten die Zuhörer gegangen wären. Aber Politiker hatten ein dickes Fell. In diesem Beruf musste man wohl genauso gefühl- oder skrupellos sein wie im Geldgeschäft. Er erlebte tagtäglich, was Spaniens Politiker aus dem Land machten. Dass sie mitten in der Krise waren, wunderte ihn wenig, wenn jeder zweite Dorfbürgermeisterseinen Preis für die Baugenehmigung noch vor dem eigenen Namen nannte.
    An der Bar wartete Henry auf seinen Champagner und betrachtete die Gesichter. Hier war nichts mehr von der Spannung und dem Ernst zu sehen, wie er ihn am Spieltisch erlebt hatte. Es wurde geplaudert, gescherzt, geflirtet und gestikuliert   – bis auf die wenigen, die einsam über ihren Drink starrten. Rechts von ihm wurde Tango getanzt, angespannte

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