Sein letzter Burgunder
nicht, den »Fritzen«. Die Pflege des alten Feindbildes war eine ihnen lieb gewordene Beschäftigung. Jedenfalls war das hier ein »großer Bahnhof«, ein Prominenter war ermordet worden, um das Wie wurde weiter ein Geheimnis gemacht, und der Fall erregte international Aufmerksamkeit.Vor dem Hoteleingang lungerte die Sensationspresse, gierig wie Hunde beim Anblick von Fleisch.
»Bitte!« Koch wies auf die Tür vor sich.
Henry wandte den Blick von den Ermittlern ab – er würde sich hier umsehen, wenn der Trubel vorbei war – und betrat den Raum. Heckler blickte aus dem Panoramafenster und drehte ihm den Rücken zu. Langsam und im Bewusstsein seiner Bedeutung, die er mit dieser Bewegung unterstreichen wollte, wandte er sich gänzlich um – lauernd und böse. Es war klar, dass Heckler ihm gegenüber weder wohlwollend war noch freundschaftliche Gefühle hegte. Wer in der Lage war, eine solche Firmengruppe aufzubauen, auch wenn es sich nur um einen kleinen Fachverlag handelte, konnte nicht dumm sein – höchstens von Ambitionen gehetzt oder von Furien getrieben. Wahrscheinlich ist beides der Fall, dachte Henry und bemühte sich, die eigenen Gedanken beiseitezuschieben und sich ganz auf den Mann am Fenster zu konzentrieren, obwohl er sich lieber neben ihn gestellt und die Aussicht über Baden-Baden und auf die Schlossruine auf dem Battertfelsen genossen hätte, dort oben mitten im Wald.
»Schön gewohnt haben sie, die Markgrafen von Baden, zumindest mussten sie die traumhafte Aussicht geschätzt haben. Oder haben sie so hoch gebaut, weil sie Angst vor Feinden hatten?«
»Sie können gehen«, sagte Heckler mit befehlsgewohnter Stimme, die keinen Widerspruch duldete, ohne auf das Gesagte einzugehen. Henry stutzte. Weshalb hatte er ihn gebeten, zu kommen? Aber Koch war gemeint.
»Nun lassen Sie uns endlich allein! Danke. Ich brauche Sie nicht mehr – vorerst.«
Koch begriff nur langsam, dass er gehen sollte. Das würde er nicht Heckler, sondern Henry ankreiden, er würde es ihm nie verzeihen, dass er Zeuge einer Situation geworden war, in der er selbst gemaßregelt wurde. Eine derartige Situationund auch der Ton wären für Henry zwei Gründe gewesen, sich umgehend nach einem anderen Wirkungskreis umzusehen. Wer kein Hund war, wusste von allein, wann er zu gehen hatte. Genau deshalb arbeitete er lieber allein.
»Gehen Sie einen Kaffee trinken, und Sie schicken uns den Zimmerservice her, damit er uns einen bringt«, sagte Heckler etwas freundlicher zu der Dame, die an einem Schreibtisch des zum Büro umfunktionierten Wohnraums der Suite saß. Henry bemerkte sie erst jetzt. Die Falten in ihrem dienstgrauen Gesicht hießen zu Recht Magenfalten – die Sekretärin fraß den Ärger über die Allüren des Chefs in sich hinein. Was blieb ihr anderes übrig? So wie sie ertrugen viele Frauen in den Büros dieser Welt klaglos die großen und kleinen Despoten, die Ersatz-Feldherren und Mini-Strategen, ihre Launen, ihr Brüllen und die niemals ausgesprochene Angst, zu versagen.
Etwas lauter als gestattet zog die Sekretärin die Tür hinter sich zu, also regte sich doch noch ein Rest von Widerstand. Der ließ Henry schmunzeln, doch Hecklers Ton keineswegs.
»Setzen Sie sich!« Er wies auf die Sitzgruppe in der rechten Ecke des mindestens vierzig Quadratmeter großen Raums neben dem falschen Kamin. Oder war der echt? Henry blickte auf die Anordnung der Sitzgelegenheiten. Einer der Sessel war größer als die anderen, er war Heckler vorbehalten, es wäre provokativ, sich dort hinzusetzen, deshalb nahm Henry auf dem Sofa Platz. Das war zwar unbequemer, aber er konnte Heckler von der Seite sehen und wurde nicht geblendet.
Die taktische Entscheidung war Heckler nicht entgangen. Er setzte sich, starrte Henry an und schwieg. Der erwiderte den Blick, ein Kräftemessen begann, das unentschieden ausging, denn Heckler griff nach einem in schwarzem Leder gebundenen Buch und schlug es auf. Dann hob er den Kopf.
»Ich habe vergangene Nacht lange überlegt, ob ich Herrn Koch beauftrage, Ihnen nahezulegen, sofort abzureisen. Aberich habe es mir heute anders überlegt. Sie können den Schaden wiedergutmachen, den Sie angerichtet haben, ich hätte Verwendung für Sie.«
»Welchen Schaden?«, fragte Henry, obwohl er wusste, worum es sich handelte. Dass jemand »Verwendung« für ihn hatte, hatte er in den letzten zwanzig Jahren nicht zu hören bekommen.
»Sie haben mir mit Ihrem dummen und infantilen Kommentar zur
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