Sein letzter Burgunder
essen eine Kleinigkeit dazu, ich lade euch ein«, sagte er zu Frank. »Was soll ich mit dem Geld sonst machen?« Er blickte sich um, sah Marion, sie tat ihm leid, er winkte sie her, und sie schloss sich ihnen tatsächlich an.
Beim Essen erfuhr er, dass ihr Vater ein Abfüllunternehmen besaß, so war sie zum Wein gekommen, und sie betrachtete ihre Arbeit bei Heckler als vorübergehend. Sie wollte sich die Weinbranche aus verschiedenen Perspektiven ansehen, bevor sie in den Schoß des väterlichen Betriebes zurückkehrte.
Also noch eine reiche Erbin, dachte Henry und lächelte verbindlich, er wollte sich nicht weitere Sympathien bei Heckler und Konsorten zerstören. Der Kettenhund strich schnüffelnd vorbei, sicher, um die Lage zu peilen. Er wusste anscheinend nicht, was er von Marions Anwesenheit am Tisch halten sollte.
Und als ginge es nur darum, ihn zu ärgern, kehrte Henry nach dem Essen ans Roulette zurück. Amber hatte wieder einige Säulen vor sich aufgetürmt, sein Gesicht hatte sich entspannt, es war klar und bei seiner Position auch selbstverständlich, dass er gewann. Als er Henry erblickte, war die gute Laune vorbei – und auch seine Glückssträhne. Er verlor, Henry gewann, in kleinen Schritten, aber kontinuierlich. Mal setzte er auf drei Zahlen in einer Querreihe, malauf die ersten drei Nummern und gewann das Elffache seines Einsatzes, dann auf ein Carré vier angrenzender Nummern. Auf die einfache Transversale war seine Gewinnquote 5:1. Und Amber verlor, und auch Antonia Vanzetti und Marion, die mittlerweile neben ihm standen, drängte sich der Eindruck auf, dass Amber ihn für sein Pech verantwortlich machte. Er forderte Nachschub, und obwohl Henry nicht weiter spielte, verlor Amber wieder und verlangte nach immer neuen Jetons. War er betrunken?
»Was er verliert, hast du gewonnen«, hauchte Marion ihm ins Ohr. Sie gab nicht auf.
»So viel gewinne ich leider nicht. Er füttert die Bank, er kann nicht aufhören. Kennst du den Mann, der ihm die Jetons bringt? Ist es einer von euren Juroren? Er kam vorhin gleichzeitig mit den italienischen Winzern.«
»Nie gesehen«, sagte Marion, »soll ich Koch fragen?«
»Da gehe ich besser, der bringt Unglück.«
»Nein, warte bitte.« Marion verschwand, Henry wechselte auf die andere Seite des Tisches und stellte sich neben Amber.
»Wir spielen nicht gegeneinander, Mister Amber, wir spielen beide gegen die Bank, wie der Rest der Welt.«
»Wenn Sie es so sehen«, meinte Amber von oben herab in seinem schönen Oxford-Englisch, »dann wird es so sein. Sie bringen mir Unglück, Mister.«
Das war keine gute Voraussetzung für ein Interview. In diesem Moment sah Henry, wie eine knochige Männerhand ein Silbertablett zwischen ihnen abstellte, diesmal mit einer Flasche statt mit einer Karaffe. Amber sollte schlafen gehen, dachte Henry, statt betrunken sein Geld zu verspielen. Aber dann würden die Nachtmahre über ihn herfallen und ihn mit gelben Rosen und seinen Punkten traktieren.
Frank postierte sich auf der anderen Seite des Tisches, Henry gegenüber. Da alle auf den Spieltisch starrten, sah niemand die winzige Kamera in seiner Hand. Wen wollte erfotografieren? Amber oder … Henry blickte zur Seite, aber da war niemand mehr, nur die Flasche auf dem Tablett und ein Glas.
Es wird Zeit, sich davonzumachen, sagte sich Henry, schlich sich ohne jeden Gruß zum Ausgang, wechselte die Jetons und nahm knapp eintausendzweihundert Euro entgegen.
9
Die Rufmordmaschine
Koch blieb vor der Tür von Hecklers Suite im obersten Stockwerk des Hotels stehen, befahl Henry barsch, zu warten, klopfte, und als er das »Herein« hörte, ließ er ihm den Vortritt.
Er warf noch einen letzten Blick in den abgesperrten Flur, an dessen hinterem Ende die Tür zu Ambers Räumen abging. Gleißendes Licht fiel von innen auf den Gang, darin bewegten sich Personen in weißen Anzügen, abgeschirmt von uniformierten Polizisten. Weitere Lampen standen zwischen glänzenden Aluminiumkoffern und leuchteten den Flur aus.
»Sicherlich die Spurensicherung, die Mordkommission und der Staatsanwalt?«, fragte Henry, aber Koch blieb stumm.
Über kurz oder lang würde er sie alle kennenlernen. Niemand würde verschont werden, alle Juroren würden einer nach dem anderen verhört oder befragt werden. Und da Alan Amber Engländer war, würde auch Scotland Yard vielleicht heute oder spätestens morgen einige Mitarbeiter schicken, um den Mord aufzuklären. Sie trauten den Deutschen noch immer
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