Sein letzter Burgunder
und seine Frau nicht hier gewesen, Henry hätte sich ins Bett verzogen, um seine Ruhe zu haben. So aber drückte er dem verdutzten Koch ein Champagnerglas in die Hand.
»Ich bin nicht nachtragend, oder?«
Schade, dass Koch die Bedeutung des »Oder« mit dem betonten Fragezeichen dahinter nicht verstand, aber Henry fand keine Möglichkeit mehr, seine Bedeutung zu erklären oder Marion zu fragen, was sie jetzt von ihm wusste, denn die Unruhe am Eingang des Casinos ergriff die Spieler, einzelne Casinobesucher begannen, Beifall zu klatschen.
Alan Amber war zurück unter den Lebenden und obenauf, wenn auch mit Schrammen im Gesicht, dazu ein Siegerlächeln. Die Hände grüßend erhoben betrat er den Saal, begleitet vom Rattenschwanz seiner Fans und Claqueure,allen voran der strahlende Gastgeber Heckler. Sofort gesellten sich Koch und Marion zu ihnen, sie strafte Henry noch im Abgang mit einem vernichtenden Blick. Hätte ein hilflo ses Schulterzucken oder ein trauriger Seufzer ihr nicht besser gestanden?
Vergeben ist eben vergeben, sagte sich Henry und fragte sich, was sie jetzt bewegte. War sie eine von denen, die das Spielzeug, das sie nicht kriegen können, lieber kaputt machten, bevor sie es anderen überließen? Sie hätte ihn ganz einfach nach seinen Lebensumständen fragen sollen, er hätte ihr ganz einfach geantwortet, nur hatte er bislang keine Veranlassung gesehen, über sich, Isabella und Peñasco zu reden. Marion erinnerte ihn an ein verwöhntes Kind. Er nahm sich vor, sich nach ihrem Hintergrund zu erkundigen – oder sollte er sie morgen selbst danach fragen?
Heckler präsentierte derweil das Casino wie sein eigenes. Amber lächelte, drückte Hände, wechselte hier und dort einige Worte, sicher Bekundungen seines Wohlbefindens. Henry verkniff sich, ihn auf das geplante Interview anzusprechen, das war eine Sache zwischen ihm und Ambers Büro, möglicherweise wusste er selbst noch gar nichts davon und erfüllte lediglich seinen Dienstplan.
Der Tross des Weingurus beendete den Rundgang am Roulette zwischen dem Florentiner Saal und der Baccara Bar. Sofort wurde Platz geschaffen, Koch brachte einen Stuhl mit Armlehnen. Ambers dankbares Schulterklopfen ließ ihn gleich zehn Zentimeter wachsen.
Henry war ihm mit Gatow und Vanzetti gefolgt, es gefiel ihm, dass beide ihre Namen behalten hatten, auch wenn es bei ihr der Name des Exmannes war – es war auch der eines renommierten Weingutes, was ausschließlich ihr Verdienst war. Gatow nahm nach dem Blick auf die Gruppe um Amber mögliche Kamerapositionen diskret ins Visier. Seine rechte Hand steckte in der Tasche des Sakkos. Frank nickte, als er Henrys fragenden Blick bemerkte. Dort steckte die winzige Kamera.
»Ich habe in jungen Jahren gelernt, aus der Hüfte zu fotografieren, als es für Besitzer von Presseausweisen von den Bullen extra was auf die Glocke gab«, zischte er zwischen den Zähnen. »Ich werde sehen, was sich machen lässt. Was ich damit anfange? Keine Ahnung.«
Henry hatte seinen Gewinn in Champagner umgesetzt. Wenn er beim Roulette setzen wollte, musste er auf die ursprünglich reservierten fünfzig Euro zurückgreifen, die Jetons klapperten in seiner Jackentasche. Vorher wollte er sehen, wie Amber spielte, denn er hatte sich bestimmt nicht aus Spaß an den Tisch gesetzt. Alle schauten ihm auf die Finger, fast alle Zuschauer hatten zwar selbst Jetons in Händen, die mit leisem Klicken fleißig auf Zahlen oder Kombinationen gesetzt wurden, aber jemand wie Amber wusste sicher, wie man richtig damit umging.
Er tat es völlig kopflos, oder sein System war nicht zu durchschauen, falls es eines gab. Jedenfalls gewann er, und wenn er die Jetons legte, folgten ihm sofort viele andere, sodass der ungeübte Betrachter nicht erkennen konnte, wessen Einsatz auf der Linie zwischen neun und zwölf lag. Der Croupier behielt den Überblick und den Rechen in der Hand, mit dem er die verlorenen Einsätze zu sich heranzog, was auf dem weichen Tuch ein anderes Geräusch verursachte als das Hinschieben der Gewinne. Das war kein Wunder, denn die Verluste waren größer als die Gewinne.
Gerade als Henry von der Bar kam, wo er sich ein Glas Weißburgunder geholt hatte, begegnete ihm das Winzerehepaar, das er schon im »Il Calice« getroffen hatte, und man grüßte sich flüchtig. Ihnen folgten zwei Herren, der eine groß und hager mit einem Clark-Gable-Bärtchen, kurz vor dem Zusammenprall mit Henrys Weinglas hielt ihn sein Begleiter am Ärmel fest. Henry bat
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