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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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»Le Bistro« schoben und dabei der frühreifen Tochter einer weißrussischen Matrone auf den Hintern starrten. Der Araber rechts von Henry hatte den Burnus abgelegt und sich mit Adidas arrangiert, so wie die lustige Witwe mit strassbesetzten Cowboystiefeln.
    Die Kellnerin und der Kellner hinter Henry kommentierten die Darbietung, ihre Stimmen drangen an Henrys Ohr wie aus dem Souffleurkasten: »…   fünfzigtausend Bewohner bedienen fünftausend Millionäre   …«
    Sind es tatsächlich so viele?, fragte sich Henry, als sich ihm eine Pranke auf die Schulter legte. Er fuhr herum. Er hatte Frank erwartet, aber der hatte wahrscheinlich erst Fidelios ersten Akt hinter sich. Die Pranke gehörte dem Kollegen von Tisch dreizehn, dem Winzer François Dillon von der Loire. Ob er auch hier nach »seiner Spezialität« verlangen würde, einem Sauvignon Blanc?
    Er zog sich mit der Geste der Verschwiegenheit einen Stuhl heran und setzte sich.
    »Schwänzen nennt man das wohl bei euch«, sagte er, bestellte ein Pils sowie Spätzle mit Gulasch vom Hirschen. »Sie ziehen es also auch vor, das städtische Leben zu genießen und sich nicht dem Gesang auszusetzen? Unter unseren Kulturenthusiasten befindet sich ein Mörder   – was für eine absurde Vorstellung.«
    »Es ist durchaus möglich, dass es mehrere sind«, unkte Henry, »weitere Mörder, verantwortlich für Taten, von denen wir nichts wissen. Ein Mord ist nur ein Mord, wenn er offenkundig wird. Aber es ist weniger der Mörder, der mich abschreckt, mit denen hat man häufiger zu tun, als man wahrhaben möchte. Mich schrecken die Sopranistin und der Tenor.«
    »Bei uns im Dorf hat es mal einen Mord gegeben, da hat ein Mann seine Frau erschlagen, nach fünfunddreißig Jahren Ehe. Vor Gericht hat er gesagt, dass sie versucht hat, ihn mit ihrer schlechten Küche umzubringen, mit fettem Essen, und er sei ihr nur zuvorgekommen.«
    »Wie hat er sie getötet?«, fragte Henry amüsiert.
    »Er hat sie erschlagen, mit einer eisernen Pfanne.«
    »Und wissen Sie, wie Amber umgekommen ist?«
    »Ich weiß nur, was so geredet wird.« Der Winzer wurde ernst. »Er soll erschossen worden sein!«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Was weiß man schon? Es wird geredet, gemunkelt, immer hinter vorgehaltener Hand. Offiziell ist es nicht. Die Polizei macht ein Geheimnis daraus.«
    »Wie standen Sie zu Amber? Hat er Ihre Weine mal bewertet?«
    Die abwehrende Geste des Winzers war eindeutig. »Das war mir nicht wichtig. Ich mache die Weine, wie ich es will, wie mein Terroir es zulässt, mein Weinberg, und setze, so weit wie es irgend geht, die Linie unseres Weingutes, also meines Vaters fort. Wir haben unsere festen Kunden, und denen sind die Punkte oder Goldmedaillen nicht wichtig. Es ist doch alles Quatsch.«
    »Und wieso sind Sie dann hier?«
    »Ich bin neugierig. Und ich will sehen, was die anderen so fabrizieren und ob alles mit rechten Dingen zugeht.« Der Winzer machte eine Pause und starrte nachdenklich vor sich hin. »Amber hat keine Macht, oder er hatte sie nie. Wir allehaben sie ihm gegeben, weil wir ihn stark geredet haben, weil wir ihn zitiert haben, uns auf ihn berufen haben, Sie als Journalist bestimmt auch. Und weshalb? Weil sich alle davon was versprachen, und hinterher wundern sich alle und jammern, wenn er sie gnadenlos in die Pfanne haut. Selbst schuld. Wenn ein Wein im Vorjahr zweiundneunzig Punkte bekommen hat, waren sie glücklich, haben sofort Rundschreiben an ihre Kunden und Händler geschickt, wie einer meiner Nachbarn. Kriegt er dieses Jahr nur siebenundachtzig, bleiben seine Kunden weg und kaufen einen anderen Zweiundneunzig-Punkte-Wein zum gleichen Preis. Oder sie fragen, wie der neue Jahrgang bewertet wurde, und wenn ich dann antworte, dass ich sie nicht habe bewerten lassen, glauben sie, ich hätte mich drücken wollen. Das ist ein Schnitt ins eigene Fleisch.«
    Es konnte alles so sein, wie François Dillon ausgeführt hatte. Es wäre leicht, seine Einstellung zu überprüfen, auf der Homepage des Weingutes, ob er im französischen Weinführer Guide Hachette einen, zwei oder drei Sterne bekommen hatte oder ob das Weinmagazin Vinum ihn überhaupt jemals erwähnt hatte. Welche Rolle spielte François Dillon?
    »Wieso sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch   – und nahezu akzentfrei?« Es war eine Frage, die Henry während ihrer Unterhaltung mehrmals in den Sinn gekommen war.
    »Sie werden’s nicht glauben«, sagte der Winzer, »es hat historische Gründe. Es heißt, dass

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