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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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ihm das nicht zu? Waren noch andere im Hintergrund, die sich bedeckt hielten? Er bewegte sich langsam durch ein Minenfeld   … Er hätte die Einladung nach Baden-Baden nie annehmen dürfen.
    Und noch etwas anderes kam Henry zu Heckler in den Sinn, als er die Passanten auf sich zukommen und an sich vorbeigehen sah. Würde die Kripo ihn als Veranstalter über den Stand ihrer Ermittlungen nicht auf dem Laufenden halten? Galt er als verdächtig, hatte er mit dem Mord zu tun, wusste mehr darüber und musste daher wissen, was vor sich ging? Hatte Heckler Alan Amber eingeladen, um ihn den Mördern auszuliefern? Ich bin nicht Journalist geworden, um als Spitzel zu enden, sagte er sich, für wen auch immer, auch nicht für die Polizei.
    Wieso hatte Heckler einen Mendoza und diesen van Buyten zur Challenge eingeladen? Bei der Auswahl der Juroren waren sicher keine politischen Maßstäbe angelegt worden, sondern die fachliche Eignung sollte im Vordergrund stehen   – sollte. Ich muss hierbleiben, auf Gedeih und Verderb, sagte sich Henry, er durfte nicht abreisen, bevor er die Lösung für das Problem Heckler gefunden hatte. Zwei verdammt komplizierte Aufgaben warteten auf eine Lösung: Er musste den Mörder finden und den Verlagschef neutralisieren. Was ihm Mut machte, war, dass er beides für möglich hielt. Und dann war da noch Jürgen Templin, der Mann und sein grausames Schicksal bewegten ihn. Wieso stellte sich bei ihm der Eindruck ein, dass der Winzer längst nicht so kaputt war, wie er vorgab zu sein?
    Er musste Isabella anrufen. Die Frage nach dem Urheber des Anschlags mit der Chlorbleichlauge war nicht geklärt, und sie hatte auch nichts von sich hören lassen, was gar nicht ihrer Art entsprach. Doch hier auf der Straße und in dem Café, auf das er zusteuerte, hätten Fremde mithören können, und Spanisch war eine Weltsprache.
    Auf den letzten Metern zum Café stutzte er und musste zweimal hinsehen, er traute seinen Augen kaum: Am Rand der Fußgängerzone standen zwei lebendige Pferde vor einer Kneipe. War Lucky Luke unterwegs? Henry schüttelte den Kopf, als er das schicke Pärchen im Sattel sah, beide mit einem Champagnerglas in Händen. Zu ihren Füßen neben der Schiefertafel mit dem Abendgedeck jaulten zwei unruhige Jagdhunde. War das Werbung fürs Galopprennen am Wochenende? Die beiden im Sattel machten nicht den Eindruck, dass sie dort für Geld saßen. Sie waren mehr in Sachen Eigenwerbung unterwegs, Selbstdarstellung als Selbstzweck. Sie, die teure Gespielin, die sonst im Sylter »Gogärtchen« und im »Pony-Club« vor der Kampener Düne abfeierte, wirkte ängstlicher als er, dem schon rotgesichtig der Champagner den Blutdruck in die Höhe trieb, oder war es die Angst vor dem Pferd? Er gehörte wohl der toxischen Elite von Anlageberatern, Konzernchefs und Mediengrößen an und war bereits betrunken. Die Pferde tänzelten, ansonsten blieben sie stumm, und Henry nahm sich vor, irgendwann im Alter, wenn er sich mit diesen Tieren angefreundet hätte und ihre Sprache verstehen würde, die Geschichte der Menschheit aus Sicht der Pferde zu schreiben. Es würde nichts vergleichbar Vernichtendes über sie geben, weder bei Homer noch von Dante oder Shakespeare. Immer hatten die Pferde für die Menschen den Karren, die Kanone oder die Psyche aus dem Dreck ziehen müssen.
    Ähnlich wie die Reiter gebärdete sich das Publikum im »Le Bistro«. War es hier angenehmer als nebenan im »Eiscafé Capri«, von wo aus man herüberstarrte und gern dazugehört hätte? Henry wollte nichts weiter als einen Kaffee trinken. Das Angebot darüber hinaus war ein Kaleidoskop der Stadt. Die rheinische Schickeria kreuzte auf, opernfeindlich wie er, das Münchner Pendant dazu, langhaarige Männer mit Gold im Ohr und teurem Ticken am Handgelenk. Der Großvater schob sein Basecap auf der Glatzezurecht, während seine junge Frau auf Stilettos sich um den aufrechten Gang bemühte. Der erfolgreiche Frauenarzt, just vom Tennisplatz zurück, hatte den Mohairpulli lässig um die Schultern gelegt und schwärmte von seiner Yacht auf dem Starnberger See. Nur der Unternehmer aus St. Petersburg, wie seine vorrevolutionären Ahnen nach wirklicher Erholung lechzend und in einem Wörterbuch nach deutschen Begriffen suchend, beobachtete indigniert die Tischmanieren seiner drei tätowierten Leibwächter und bohrte in der Nase. Erfrischend dagegen der Anblick Jugendlicher im H & M-Einheitslook , die sich laut lachend durch die Stuhl- und Tischreihen des

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