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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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erreichte der Bus das Festspielhaus.
    Hier stand zur Kaiserzeit der Bahnhof Baden-Badens. Nicht die Gleise, wohl aber der repräsentative Teil mit der Schalterhalle war als Foyer in das Opernhaus integriert worden. Aus dem Wartesaal zweiter Klasse war ein Restaurant geworden. Im Wartesaal erster Klasse, dem ehemaligen Fürstenzimmer, wurden sie zu einem Empfang erwartet. Als er die gewaltige Menschenmenge auf dem Platz vor dem Festspielhaus sah, begriff Henry, warum ihre Anwesenheit vor dem Hotel gecheckt worden war. Bei zweieinhalbtausend Besuchern würde es nicht auffallen, wenn Frank seinen Platz einnehmen würde und er selbst sich aus dem Staubmachte. Es war nicht leicht, den Fotografen in dem Gewimmel auszumachen, und nachdem er ihm die Eintrittskarte übergeben hatte, war Henry zufrieden, die wimmelnde Menschenmenge vor dem Festspielhaus hinter sich zu lassen. Außerdem hielt sich wahrscheinlich Ambers Mörder in dem Gebäude auf.

10
Chaostheorie
    Während sämtliche Juroren und die Belegschaft des Heckler-Verlags sich der Oper hingaben, schlenderte Henry zufrieden durch eine Fußgängerstraße an kleinen Läden vorbei und betrachtete die Auslagen, ohne sie wirklich zu sehen. Ihm gingen van Buyten und Mendoza nicht aus dem Sinn. Der spanische Neonazi, Falangist oder Rechtsradikale, egal, wie man ihn nennen wollte, war eine Gefahr   – nicht für die Demokratie, dazu war er zu unwichtig, wohl aber für seine Mitmenschen. Er verkörperte das alte Spanien, erzkatholisch und voller Sehnsucht nach der verlorenen Größe, nach dem Reich, in dem die Sonne nicht unterging, das einst große Teile Europas und der Philippinen beherrschte, die Urbevölkerung Lateinamerikas nahezu ausgerottet hatte und in Nordafrika noch immer Kolonien besaß. Es war das Spanien, das sich gegen jeden Fortschritt wehrte, weil man sich damit der gottgewollten Ordnung von Herr und Knecht in den Weg stellte, beherrscht vom spätfeudalen Geist, der beharrlich jeder Erneuerung trotzte. Für Henry waren diese Leute zu faul zum Denken, zum Arbeiten und zu dumm, Entwicklungen zu begreifen. Es hätte auch bedeutet, sich zu ändern.
    Und trotzdem hatte er, während er durch die abendliche Straße schlenderte, ein Gefühl von Heimweh. Er fühlte sich einsam, zum ersten Mal, seit er wieder hier war. Er spürte etwas wie Sehnsucht nach der Familie, nach den Peñascos: Isabella, Sebastián, die Tante Isabellas, »La Cantora« genannt,die Sängerin. Da war Salgado, ein anständiger Polizist, einer, der endlich mal auf der richtigen Seite stand und ziemlich verzweifelt war, weniger über die Strukturen des Apparats als über die Beschaffenheit des Menschen, ja, Salgado war ernüchtert. Da waren die Bauern der Kooperative, einfache und klare Menschen, die weder modern sein wollten noch sich mit Apple-Technologie brüsteten. Zu ihnen zog es Henry hin, und er fragte sich, ob es nicht doch an der Zeit sei, endgültig bei Bodegas Peñasco einzusteigen. Und doch empfand er auch Baden-Baden als Teil seiner Heimat, genau wie Rheinhessen und den Kaiserstuhl, wo er sich sofort heimisch gefühlt hatte, wie selten zuvor in einer deutschen Region. So einfach würde der Wechsel zu Peñasco nicht. Er hatte Verpflichtungen, er hatte Verantwortung übernommen, für seine Kunden und für die Weinbauern. Mochten andere sich ausschließlich nach ihren Interessen richten, nichts als den eigenen Vorteil vor Augen, für ihn war das kein Maßstab. Wie verkommen musste ein Heckler sein, um einen Gast, als solcher war Henry hier angereist, derartig unter Druck zu setzen; wie böse musste er sein, um ihm zu drohen, nicht nur die eigene Lebensgrundlage zu zerstören, sondern auch seine Familie. Henry hätte damit umgehen können, wenn nur ihm die Drohungen gegolten hätten, aber Peñasco, das hieß Isabella, mit hineinzuziehen, ging zu weit.
    Henry würde Heckler derart in die Pfanne hauen, dass er es nie vergessen würde. Er war viel zu sehr Spanier   – gewesen und geworden, als dass er Heckler diese Niedertracht durchgehen lassen konnte. Er musste wissen, wer Heckler war, er musste zu ihm vordringen, wissen, was in ihm vorging und wo er verletzlich war. Sollte er sich an Marion ranmachen, ihr Liebe oder Begehren vorgaukeln, sie benutzen, um in den Verlag einzudringen? Diese Lösung lag ihm nicht, er würde sich auf eine Stufe mit Heckler stellen. Weshalb hatte er gerade ihn als seinen Spitzel ausgewählt? WarKoch nicht besser geeignet? Das hätte zu ihm gepasst. Oder traute er

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