Sein letzter Fall - Fallet G
schien zu explodieren.
Eine Viertelstunde vielleicht? Er schätzte, dass es nicht länger war. Also ein Stück außerhalb der Stadt. Zehn, fünfzehn Kilometer, die letzte Strecke war uneben und holprig, wahrscheinlich ein schmalerer Weg durch einen Wald oder über einen Acker.
Sie hielt an. Er hörte, wie die Fahrertür geöffnet und wieder zugeschlagen wurde. Dann verging eine Minute, bis die Kofferraumklappe geöffnet wurde.
Er drehte den Kopf und blinzelte ins Licht. Scheuerte sich wieder die Wange auf, fast an derselben Stelle. Sein Blick wanderte ein paar Mal zwischen der Pistolenmündung und ihrem Gesicht hin und her.
Reden, dachte er. Je länger es mir gelingt, mit ihr zu reden, umso länger habe ich zu leben.
»Steig aus.«
Sie wedelte mit der Waffe. Er brauchte eine Weile, um heraus und auf die Füße zu kommen. Und noch länger, den Rücken zu strecken. Er schaute sich in dem schwachen Dämmerlicht um. Wald in alle Richtungen, genau wie er gedacht hatte, sie waren auf einem Weg hergefahren, der nur aus zwei Reifenspuren mit einem hohen Grasstreifen in der Mitte bestand.
Überwiegend Buchen, hier und da andere Bäume. Espen und Nadelbäume. Ziemlich hügelig, er nahm an, dass sie Richtung Osten gefahren war. Als er vorsichtig die Luft einsog, meinte er, einen Hauch von Meer riechen zu können.
Obwohl das Einbildung sein konnte. Vielleicht wollte er in so einem Augenblick das Meer einfach nur spüren.
»Das wird Ihnen nicht glücken«, sagte er.
»Ich schlage vor, dass wir uns duzen.«
»In Ordnung. Du wirst damit nicht davonkommen.«
»Blödsinn. Du selbst bist derjenige, der nicht davonkommen wird.«
Es klang, als wäre sie von dem, was sie sagte, überzeugt. Ihm kam der Gedanke, dass es jetzt nur noch die Frage von Sekunden war, aber da sah er, dass sie einen Spaten in der Hand hatte, und ahnte, dass sie andere Pläne hatte.
»Leg dich auf den Bauch.«
Umständlich ging er in die Knie und ließ sich vornüber kippen.
»Das Gesicht zum Boden.«
Er gehorchte. Sein Rücken schrie. Mit zwei schnellen Schnitten durchtrennte sie das Seil. Sowohl an den Händen als auch an den Füßen.
Das ist der Moment, dachte er. Der Moment, in dem ich eine Chance gehabt hätte. Wenn ich noch dreißig wäre.
Aber es dauerte eine Weile, das Seil abzuwickeln und sich von ihm zu befreien, und als er wieder auf den Beinen war, da stand sie in zwei Metern Entfernung und hatte die volle Kontrolle über die Situation.
»Los.«
Sie zeigte die Richtung durch Kopfnicken und ein Zeichen mit der Pistole an. Er streckte vorsichtig den Rücken, so dass die Blockade sich lockerte, und begann, die leichte Steigung hinaufzugehen.
Ein wenig dichtere Vegetation. Etwas mehr Unterholz. Er begann zu verstehen, was sie vorhatte.
Er begann zu verstehen, wer sie war.
»Hier ist es gut.«
Er blieb in der kleinen Mulde stehen und schaute sich um. Nicht mehr als zehn Meter Sicht in alle Richtungen. Die Morgendämmerung hatte die Nacht noch nicht besiegt. Jedenfalls nicht vollkommen. Einzelne Vögel waren zu hören, aber nur wie vereinzelte Lautfetzen in der Stille. Kein Wind. Noch eine gewisse übrig gebliebene Nachtkühle und dünne Nebelstreifen, die sich langsam hoben. Er nahm an, dass es noch keine sechs Uhr war – machte sich aber nicht die Mühe, das zu überprüfen. Spürte, wie die Müdigkeit ihn wieder überkam.
Ich stehe immer noch unter Drogen, erinnerte er sich. Zuckte zusammen, als sie ihm den Spaten vor die Füße warf.
»Grab!«
Er schaute sie an.
»Und wenn ich mich weigere?«
Das habe ich schon mal gesagt, dachte er. Habe ich keine besseren Fragen?
»Dann erschieße ich dich und grabe selbst.«
»Du wirst damit nicht davonkommen.«
»Ich werde nicht davonkommen, wenn ich dich leben lasse.«
Er überlegte. Es war nicht schwer, ihre Argumente zu verstehen. Natürlich musste sie ihn töten.
»Linden?«, fragte er. »Du bist mir zumindest eine Erklärung schuldig.«
Sie betrachtete ihn blinzelnd und hob die Waffe, so dass sie direkt zwischen seine Augen zielte. Stand ein paar Sekunden lang absolut still, dann senkte sie sie um einige Zentimeter.
»Fang an.«
Er begriff, dass das eine Art Abmachung war, und ergriff den Spaten. Schaute sich nach einem geeigneten Platz um.
Geeignet?, fragte er sich selbst. Wo will ich liegen?
»Wo ist Osten?«, fragte er.
»Warum willst du das wissen?«
»Ich will mit dem Kopf in der Richtung liegen.«
Sie lachte laut auf.
»Da.«
Er nickte. Suchte sich eine Stelle
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