Sein letzter Fall - Fallet G
lag. Keiner von ihnen.
Und deshalb sollte er sterben?
Nach fünfzehn Jahren Grübeln hatte er jetzt die Lösung des Falls G. Er hatte den Mörder selbst gefunden, und der Preis dafür war sein eigenes Leben.
Es schien, als bestünde eine Art Gerechtigkeit darin.
Zumindest eine Logik.
»Und die Identifikation?«, fragte er dennoch, in erster Linie, um das Gespräch am Laufen zu erhalten.
Sein letztes Gespräch.
»Du erinnerst dich doch sicher noch daran«, sagte sie. »Ich persönlich war ja nicht anwesend, aber laut meinem Gatten lief alles wie geplant. Da er sofort jeden Verdacht auf sich gezogen hat, tauchte nie die Frage nach der Identität der Leiche auf. Verlangen hat alles mit Haut und Haaren gefressen… wir hatten uns ja gedacht, er könnte auch noch bei der Identifizierung helfen, aber das war gar nicht nötig. Es genügte, dass es Jaan und diese widerliche Nachbarin taten.«
»Ja, jetzt fällt es mir wieder ein«, gab Van Veeteren zu. »Frau Trotta. Aber dafür hat er dich fünfzehn Jahre später identifiziert? Verlangen, meine ich.«
Sie gab ihm mit einem Zeichen zu verstehen, dass er weitergraben sollte, und er ergriff den Spaten von Neuem. Die oberste Schicht hatte er inzwischen abgetragen. War einige Zentimeter tief gelangt und bisher noch auf keine unmögliche Wurzel oder größeren Steine gestoßen. Es wird zu sehen sein, dass hier gegraben wurde, dachte er. Vielleicht werden sie mich eines schönen Tages finden und umbetten.
»Ja, das hat er«, bestätigte sie. »Dieser Idiot. Das hat ihn und noch zweien das Leben gekostet… und davon wird sie auch nicht wiederauferstehen, diese Hure. Siehst du irgendeinen Grund, warum er darin wieder herumbohren musste?«
Kurz sah Van Veeteren vor sich, wie er einmal mit Bausen über irgendetwas gesprochen hatte. Während der Ermittlungen im Axtmörderfall, vor neun Jahren.
Über Gleichungen, die man nicht lösen musste.
Schachpartien, die man nicht zu Ende spielen sollte.
Bausen hatte gemeint, dass es eine ganze Menge solcher Phänomene gäbe, und das müsste man einfach akzeptieren. Was ihn selbst betraf, so war er unsicher gewesen.
Und jetzt stand er also mit der Lösung des Falles (der Gleichung? der Schachpartie?) G. in der Hand da, und die Antwort war mit seinem eigenen Tod verwoben. Ebenso wie mit dem von Verlangen und G.s eigenem.
Wie gesagt, es lag eine gewisse Logik darin. Eine zwingende Notwendigkeit in einem diabolischen Muster.
Oder aber ein ganz triviales Muster? Und das ganz banale Böse. Warum das eine oder andere überbewerten?
»Ich habe ihn gehasst«, erklärte er. »Deinen Mann, meine ich. Du weißt sicher, dass er seine kleine Schwester fünf Jahre lang vergewaltigt hat? Außerdem hat er einen Jungen getötet, als wir noch zur Schule gingen.«
Aus irgendeinem Grund erschien auch das zwingend notwendig. Darüber zu sprechen.
Sie reagierte nicht. Zumindest konnte er nichts aus ihrer Miene ersehen. Und er erinnerte sich daran, dass er hier mit Lady Macbeth zusammenstand und sich unterhielt. Vielleicht hatte sie von der kleinen Schwester gewusst, vielleicht auch nicht.
»Mein Mann hat dich nicht gehasst«, sagte sie nach einer Weile des Schweigens. »Hatte nur Verachtung für dich übrig, genau wie ich. Du brauchst gar nicht zu glauben, dass du mit diesem Geschwätz irgendwas wirst gewinnen können.«
»Hast du Philomena McNaught auch getötet? Oder war er es?«
Plötzlich sah sie ihn höhnisch an. Höhnisch wie eine schlechte Schauspielerin bei einem missglückten Vorsprechen.
»Gemeinsam«, sagte sie. »Das haben wir gemeinsam gemacht. Es war eine schreckliche Frau. Grab weiter, ich habe keine Lust, noch länger zu warten.«
Er überlegte einen Moment lang. Dann tat er, was sie gesagt hatte.
Münster bremste, stellte den Motor ab und sprach ein lautloses Gebet. Er warf Rooth einen Blick zu, der während der sechs Minuten langen Fahrt von See Wharf zur Wackerstraat die meiste Zeit nur dagesessen und an den Nägeln gekaut oder ihn gebeten hatte, doch schneller zu fahren.
Rooth nahm die Finger aus dem Mund und öffnete die Wagentür.
»Keine Verzögerungen«, sagte er. »Nun mach schon!«
Sie gingen nebeneinander über die Steinplatten, die zur Haustür führten. Münster konnte nirgendwo ein Lebenszeichen entdecken, bis auf die leichte Übelkeit, die in ihm pulsierte. Aber kein äußeres – abgesehen von einem blassen, frühen Herbstmorgen, dämmerungsgrau, lau und ohne Wind.
Ein Morgen wie so viele im Leben. Er nahm
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