Sein letzter Fall - Fallet G
an, dass die Leute nach und nach auch in diesem wohl situierten Viertel wach wurden. Es war jetzt fast sieben Uhr, sicher stand so mancher Villenbesitzer unter der Dusche, während so manche Villenbesitzerin am Frühstückstisch saß, die Zeitung vor sich aufgeschlagen, und versuchte, Energie für einen neuen Tag zu schöpfen. Wieder einen.
Wie es um das Nolansche Haus stand, das zu beurteilen war nicht so einfach, aber Rooth drückte einfach mit dem Zeigefinger auf die Türklingel und ließ ihn dort fünf Sekunden liegen – was ja wohl auf jeden Fall irgendeine Reaktion nach sich ziehen sollte.
Aber dem war nicht so. Münster und Rooth starrten abwechselnd einander und die braun gebeizte Tür an, während sie warteten. Aber nichts geschah.
Rooth versuchte es noch einmal.
Er trampelte nervös von einem Fuß auf den anderen und wartete noch ein paar Augenblicke.
»Niete«, sagte Münster. »Entweder sie ist nicht zu Hause, oder sie will uns nicht sehen. Was machen wir?«
Rooth wollte gerade noch einmal klingeln, zögerte dann aber.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Was denkst du?«
Münster versuchte, mit den Schultern zu zucken, merkte aber, dass sein Körper so angespannt war, dass es nicht ging.
»Wir könnten bei den Nachbarn nachfragen«, schlug er vor. »Ob die was gesehen haben, meine ich.«
»Was sollen die denn gesehen haben?«
»Na, den
Hauptkommissar
natürlich… oder jedenfalls seinen Wagen. War das nicht unsere Frage?«
Rooth sah plötzlich ganz resigniert aus.
»Doch, ich denke schon. Aber wir können jetzt doch nicht Klinken putzen gehen. Ich finde, wir sollten reingehen.«
»Reingehen?«, fragte Münster und drückte vorsichtig die Klinke herunter. »Es ist abgeschlossen.«
»Ich meinte nicht unbedingt durch die Tür«, sagte Rooth.
»Ach so?«, meinte Münster und dachte kurz nach. Dann holte er sein Handy heraus.
»Was machst du?«, wollte Rooth wissen.
»Ich rufe deKlerk an. Ich denke, er hat auf jeden Fall hier ein Wörtchen mitzureden.«
Rooth kratzte sich am Kopf, während Münster die Nummer wählte.
»Informiere ihn«, sagte er, gerade als deKlerk sich meldete. »Das genügt… erzähl ihm, dass wir reingehen. Lass ihn nicht erst einen Beschluss fassen, das kostet nur unnötig Zeit.«
Münster nickte. Rooth ging ums Haus herum, um nach möglichen alternativen Eingangswegen zu suchen.
51
Ein paar Spatenstiche lang schwieg er. Jede Bewegung tat ihm inzwischen im Rücken weh, aber in Anbetracht dessen, was auf ihn wartete, bekümmerte ihn das nicht. Solange mir etwas wehtut, lebe ich, dachte er. Inzwischen schwitzte er auch, aber er wollte seine Jacke nicht ausziehen. Eine vage Vorstellung dahingehend, dass es unten in der Erde kalt war, hielt ihn wahrscheinlich davon ab.
»Ihr hättet Verlangen nicht mit hineinziehen müssen«, sagte er. »Es hätte auch so geklappt.«
»Blödsinn. Jaan hatte allen Grund, ihm eins auszuwischen… außerdem war er natürlich nötig.«
Er ahnte, dass sie widerstrebend doch bemüht war, ihn davon zu überzeugen. Als hätte sie das Bedürfnis, ihre Handlungen zu rechtfertigen, trotz allem.
»Und warum?«
»Um euren Blick in eine andere Richtung zu lenken. Jaan G. Hennan hat seine Ehefrau ermordet, die Gattin hatte vorher schon so ein Gefühl und hat sich deshalb an einen Privatdetektiv gewandt, dem es jedoch nicht gelang, ihr Leben zu retten. So solltet ihr das sehen, und so habt ihr es auch gesehen. Ist euch jemals der Verdacht gekommen, es könnte sich bei dem Opfer um jemand anderen handeln?«
Er antwortete nicht, aber ein Gefühl der Scham schoss in ihm hoch. Sie hat Recht, dachte er. Wir haben es nie gese-hen. Weder ich noch jemand anderes. Nur ein alkoholisierter Privatdetektiv fünfzehn Jahre später. Das waren die Tatsachen.
Und die waren kaum sehr ehrenhaft.
Geschieht mir nur recht, folgerte er. Dieses Finale hier ist der würdige Schlusspunkt von dem ganzen Dreck. Es fehlt nur noch, dass es anfangen wird zu regnen.
Aber das sah die Prognose für diesen Septembermorgen nun doch nicht vor. Zumindest nicht für den kurzen Zeitraum, der noch blieb. Inzwischen war es fast volles Tageslicht. Aber keine Sonne, und die würde die Mulde unter keinen Umständen vor der Mittagszeit erreichen. Und dann würde alles schon lange vorbei sein.
Nur ein bleicher, ahnungsloser Himmel. Kein Wind, kein Zeichen. Er grub einige Spatenstiche lang schweigend weiter. Dachte, dass ihm trotz allem der Geruch von Erde gefiel.
»Wer war Liston?«,
Weitere Kostenlose Bücher