Sein letzter Fall - Fallet G
dritte Mal gilt, dachte er.
Zum Teufel auch. Die Klingeltöne hallten genauso einsam wie seine Gedanken. Er legte den Hörer auf und überlegte, was er tun sollte. Hatte es überhaupt einen Sinn, die Hennan-Beschattung fortzuführen?
Hatte er eine Art Schuldigkeit, das zu tun?
Wohl kaum. Er hatte drei Tage an der Sache gearbeitet (war zumindest drei Tage lang in Linden an Ort und Stelle gewesen), sein Tageshonorar waren dreihundert Gulden, und er hatte immerhin tausend von Frau Hennan erhalten. Unter Berücksichtigung der Hotelrechnung und dem einen oder anderen konnte man also sagen, dass der Betrag so ziemlich die Ausgaben deckte, die er bisher gehabt hatte.
Vielleicht am besten, alles auf sich beruhen zu lassen. Die elegante Amerikanerin und ihren zweifelhaften Ehemann zu vergessen und sich anderen Dingen zu widmen.
Andererseits: noch so ein Tausender und ein paar Tage auf der halben Pobacke absitzen, das wäre auch nicht zu verachten. Und schon gar nicht, da es im Augenblick nichts anderes gab, dem er sich hätte widmen können. Abgesehen von einem so genannten Job auf Erfolgsbasis, der eine Bande Graffiti-Vandalen betraf, die seit ein paar Monaten ihr Unwesen trieben. Die Geschäftsleute von Linden hatten eine Belohnung von fünftausend Gulden ausgeschrieben für denjenigen, der die Jugendlichen schnappen würde, aber auch wenn Verlangen ein oder zwei mögliche Namen und ein paar Gesichter vor Augen hatte, die in Erwägung zu ziehen waren, so war die Sache noch lange nicht im Kasten.
Er seufzte. Öffnete das erste Bier des Tages und entschied sich für noch einen Kompromiss in der Hennan-Frage: zuerst das Neuwe Blatt vom Wochenende, anschließend ein weiterer Versuch mit dem Telefon.
Die Notiz stand auf Seite fünf der Samstagsausgabe.
Frau tot aufgefunden
lautete die Überschrift, und er las den kurzen Text ungefähr mit dem gleichen Gefühl, das er häufig auf der Toilette des Pubs Gerckwinckel hatte, wenn er einsehen musste, dass dieses verschwitzte, gerötete Gesicht im Spiegel über der Pinkelrinne sein eigenes war.
Ist das die Möglichkeit?, dachte er.
Aber wer sollte es verdammt noch mal sonst sein?
Eine Frau um die fünfunddreißig, stand da.
Von amerikanischer Abstammung.
Tot auf dem Boden eines trockenen Swimmingpools gefunden. Am Rande von Linden. Die Umstände waren noch unklar, aber nach allem zu urteilen, hatte sie geglaubt, dass der Pool mit Wasser gefüllt war und sich von großer Höhe hineingestürzt. Kein Zeuge. Kein Verdacht auf ein Verbrechen.
Verlangen las den ganzen Artikel – nicht mehr als sechzehn Zeilen in einer Spalte – drei Mal, während er das Bier in sich schüttete und eine weitere Zigarette rauchte.
Amerikanische Frau?
Wie viele amerikanische Frauen gab es wohl in Linden?
Wahrscheinlich nicht besonders viele.
Und an den Sprungturm konnte er sich erinnern. Was für eine ausgeklügelt sinnlose Art zu sterben.
Zum Teufel, dachte er. Was verdammt noch mal hat das zu bedeuten?
Am Donnerstagabend? Aber das war doch dieser beschissene Abend, an dem er dagesessen und…
Ein paar Sekunden lang hatte Maarten Verlangen das Gefühl, sein Bewusstsein würde sich in die berühmte Badezimmerseife verwandeln, die man einfach nicht zu packen kriegte und auf der nicht einmal eine Laus Halt finden konnte. Nach einem weiteren Schluck Bier bekam er aber dennoch wieder eine gewisse Ordnung in seine Gedanken, und zwei alternative Handlungspläne kristallisierten sich heraus.
Oder zumindest zwei erste Züge zweier verschiedener Handlungspläne.
Entweder er konnte die Polizei anrufen. Das wäre natürlich das Klügste. Oder aber er konnte sich noch einmal nach Linden begeben, um zu sehen, ob dort etwas herauszufinden war.
Nach fünf Sekunden simulierter Bedenkzeit entschied er sich für die zweite Alternative. Die Polizei konnte er immer noch anrufen. Es wäre dumm, übereifrig aufzutreten, bevor er wusste, ob es sich auch um die richtige Frau handelte, redete er sich ein. Dass es wirklich Barbara Clarissa Hennan war, die da unten im Pool lag.
Gesagt, getan. Er verließ sein Büro und eilte zum Auto.
»Ja, wirklich?«, fragte Van Veeteren nach. »So schlecht ist es bestellt?«
Er hörte der Stimme am Telefon zu, wobei sein Gesicht sich immer mehr verfinsterte. Wie ein Tiefdruckgebiet, dachte Inspektor Münster, der seinem Vorgesetzten gegenübersaß und mit der Zungenspitze an einem Backenzahn spielte, von dem er am vergangenen Abend eine Plombe verloren hatte. Englisches
Weitere Kostenlose Bücher