Sein letzter Fall - Fallet G
Gefühlen wie immer.
Warum heiratest du nicht, Carla?, hatte er sie ein paar Mal im Laufe der Nacht gefragt. Eine Frau wie du?
Hältst du um meine Hand an?, hatte sie wissen wollen.
Nein, hatte er geantwortet. Ich… ich bin noch nicht reif, um wieder zu heiraten.
Da hast du die Antwort.
Er kehrte zur Einsamkeit und dem sauberen Bettzeug in der Heerbanerstraat zurück. Überlegte, seine Tochter anzurufen, verschob das aber auf später. Er wollte nicht zu oft von sich hören lassen. Wollte nicht, dass sie das Gefühl bekam, es wäre eine Pflicht, ihn zu treffen oder mit ihm zu reden. Lieber mehr Qualität als Quantität, wie er immer dachte. Ein bitterer und kaum heroischer Gedanke wahrscheinlich, denn es war doch wohl so, dass ein gewisses Maß an Quantität vorhanden sein musste, damit sich überhaupt eine Art von Qualität entwickeln konnte?
Vielleicht mit Ausnahme der Beziehung zu Carla Besbarwny?
Er schob den Gedanken zur Seite und machte stattdessen einen neuen Versuch in der Villa Zephir. Wäre nicht schlecht zu erfahren, wie er weiter vorgehen sollte, und außerdem war ja noch der Freitagsrapport abzuliefern.
Und falls es G. sein sollte, der ans Telefon ging, dann konnte er immer noch den Hörer auflegen.
Es war G.
Zumindest soweit Verlangen es beurteilen konnte. Er klang mürrisch. Verlangen erwog eine Sekunde lang, eventuell seine Stimme zu verstellen und zu sagen, er habe sich verwählt, aber selbst so ein Vorstoß wäre schon riskant gewesen.
Er schluckte und legte den Hörer auf.
Streng genommen ist ja erst morgen wieder ein Arbeitstag, beschloss er. Achte den Sonntag und halte ihn in Ehren, und kommt Zeit, kommt Rat.
Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und schaltete den Fernseher ein.
Als Van Veeteren am späten Sonntagabend endlich Pergolesis Stabat mater auflegen konnte, hatte er sich bereits das ganze Wochenende danach gesehnt, das zu tun.
Es hatte nämlich so einige häusliche Pflichten gegeben. Ein Essen mit Renates Bruder und seiner Schwägerin am Samstagabend – und Frühstück und Mittag mit dem gleichen dubiosen Paar am Sonntag, da sie in Chadów wohnten und bei ihnen übernachtet hatten. Eine ernsthafte Diskussion mit Renate über Erichs Situation in der Schule (und im Leben überhaupt) am Sonntagnachmittag (aber ohne die Hauptperson, da die mit guten Freunden unterwegs war), und dann zwei Abendstunden lang eine verfluchte Geschirrspülmaschine, die zu reparieren er bereits vor einem Monat versprochen hatte. Und die noch sehr viel kaputter war, nachdem er mit ihr fertig war, als sie es gewesen war, bevor er überhaupt mit der Reparatur angefangen hatte.
Was hatte er zu Münster gesagt? Etwas in der Richtung von friedlichem Wochenende?
Er hatte es nicht einmal geschafft, einen Blick auf die Schachaufgabe in der Allgemejne zu werfen.
Aber um halb zwölf Uhr sank er jedenfalls in den Sessel, mit Pergolesi in den Ohren. Das Zimmer dunkel. Renate im Bett, Erich im Bett. Die Platte war achtundfünfzig Minuten lang, er hatte es überprüft, bevor er sie aufgelegt hatte. Enthielt auch die Orpheuskantaten.
Schön, dachte er. Endlich eine Stunde Lebensqualität.
Und endlich eine Chance, über seine Beziehung zu G. nachzudenken.
Und wovon konnte das besser begleitet werden als von dem Dolorosa-Duett, gesungen von Julia Gouda und Anna Faulkner? Er tat drei tiefe Atemzüge und versank fünfunddreißig Jahre zurück in der Zeit. Da war sie. Die stärkste Erinnerung an G.
Schwärzer als schwarz.
Winterhalbjahr in der Manneringschule an der Poostlenergraacht. Alter: frühe Vorpubertät. Hauptpersonen: G., VV sowie ein kleiner jüdischer Junge namens Adam Bronstein.
G., der Große, Starke, Gefürchtete. Adam Bronstein, der Begabte, Brillenschlange, Schnelldenkende, Anämische. VV, der Zögernde, der sich nicht traut, den Konflikt mit G. aufzunehmen, der nicht dazwischengeht und dessen Terror gegenüber Schwächeren einen Riegel vorschiebt. Es ist nicht nur Adam Bronstein, dem übel mitgespielt wird, aber er ist das Hauptopfer.
Das entscheidende Ereignis findet nach einer Sportstunde statt. Als der Lehrer (der beispiellos unbeliebte Magister Schwaager) sich davongemacht hat – und nachdem die meisten Jungs mit ihrer Katzenwäsche und dem Umkleiden fertig sind und die nach Schweiß riechenden Räume verlassen haben (die sich in einem frei stehenden alten Holzgebäude zwischen dem Schulgebäude und dem Kanal befinden) –, zwingt G. Adam Bronstein, sich längs auf die große
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