Sein letzter Fall - Fallet G
hinaufzuschleppen, aber vermutlich nicht unmöglich. Er nahm sich in Gedanken vor, Meusse zu fragen, ob man eventuell feststellen konnte, ob bestimmte Verletzungen etwas früher entstanden waren – und auf andere Art und Weise – als die, die das Ergebnis der unsanften Landung auf dem Beckenboden waren.
Das war wohl im Groben erst einmal alles, was man über die Methode sagen konnte, dachte Van Veeteren. Er spielte eine Weile mit dem Gedanken, in die Küche zu gehen und sich ein Bier zu holen, ließ es dann aber doch bleiben.
Also, die Gelegenheit? Ja, darüber zu spekulieren war auch nicht so schwierig.
Wer immer sich am Donnerstagabend so gegen zehn Uhr in der Nähe der Villa Zephir befunden haben mochte, der hatte natürlich die Gelegenheit – zumindest rein hypothetisch –, den Mord laut besagter Methode zu begehen. Das Problem war, dass die interessanteste Figur in diesem Zusammenhang – Jaan G. Hennan – für den bewussten Zeitpunkt ein Alibi zu haben schien.
Schien
, wie gesagt. Es war natürlich noch zu überprüfen, wie hieb- und stichfest dieses Alibi war. Sachs und seine Männer hatten inzwischen wohl ausreichend Zeit gehabt, diese Sache zu untersuchen.
Blieb also noch die Frage nach dem Motiv. Wer hatte einen Grund gehabt, Barbara Hennan zu töten? Und speziell: Welches Motiv konnte G. selbst gehabt haben?
Van Veeteren sah ein, dass es ganz genau diese Frage war, der er sich in den nächsten Tagen etwas intensiver widmen sollte.
Wenn es auch nur den Bruchteil der Möglichkeit gibt, dass er dahinter steckt, dachte der Kommissar und biss die Kiefer zusammen… dass G. irgendetwas mit dem Tod seiner Ehefrau zu tun hat, ja, dann werde ich ihn dafür festnageln. Um Adam Bronsteins willen und für all die anderen armen Teufel, die er im Laufe seines Lebens gequält hat.
Das war nicht mehr und nicht weniger als seine Pflicht. Eine zwingend notwendige Pflicht.
Was mache ich eigentlich?, dachte er entsetzt. Ich sitze hier und wünsche mir, dass ein Unfall sich in einen Mord verwandelt. Und das nur… nur, um meine privaten Racheinstinkte zu befriedigen. Und da rede noch einer von objektiver Polizeiarbeit! Reden wir lieber über Beweggründe!
Er hörte Pergolesi bis zum Schluss an. Hörte Stabat mater und die Orpheuskantaten ganz bis zum Ende. Es war Viertel nach eins, als er ins Doppelbett neben seine Frau krabbelte. Leise und vorsichtig, um sie nicht zu wecken.
Ich liebe sie nicht mehr, dachte er plötzlich. Tue das schon lange nicht mehr, warum wahren wir dann immer noch den Schein der Konventionen?
Wem zuliebe?
Das war eine idiotische Frage, kurz bevor man einschlafen wollte, und eine Stunde später lag er immer noch wach.
9
Als Maarten Verlangen am Montagmorgen, dem 9. Juni, sein Büro in Besitz nahm, hatte er seit dem Mittwoch der vergangenen Woche seinen Fuß nicht mehr hineingesetzt. Folglich hatte er – unter anderem – das Neuwe Blatt der letzten fünf Tage, um sich die Zeit zu vertreiben. Laut einem unausgesprochenen Gentleman’s Agreement schob ihm die Witwe Meredith ihr Exemplar immer durch den Briefschlitz, nachdem sie es gelesen und das Fernsehprogramm ausgeschnitten hatte. Die Geste war als Dank für Verlangens Einsatz vor eineinhalb Jahren anzusehen, als dieser den perversen Übeltäter aufgespürt hatte, der eine Zeit lang davon besessen war, seine Exkremente in ihren Briefkasten zu stopfen, ein junger und zeitweise viel versprechender Jurist aus dem Bankenwesen, wie sich herausstellen sollte, der eine Persönlichkeitsveränderung durchgemacht hatte, nachdem er bei einer Radtour auf der Keymer Plejn direkt mit dem Kopf gegen eine Straßenbahn gestoßen war. Als er entlarvt worden war, hatte Verlangen ein gewisses Mitleid mit dem armen verwirrten Mann empfunden und ihn ein halbes Jahr lang regelmäßig im Krankenhaus Majorna besucht.
Es gab trotz allem immer noch Leute, denen es schlechter ging als ihm selbst.
Er stapelte die Zeitungen chronologisch auf seinem Schreibtisch. Zündete sich eine Zigarette an und hörte den Anrufbeantworter ab. Nichts von Barbara Hennan. Insgesamt nur drei Nachrichten: eine von der Versicherungsgesellschaft, eine von jemandem namens Wallander, der wieder anrufen wollte, und einmal falsch verbunden.
Er wählte die Nummer der Villa Zephir.
Keine Antwort.
Er las die Mittwochsausgabe des Neuwe Blatt und versuchte es noch einmal.
Keine Antwort.
Er zündete sich eine neue Zigarette an und ging die Donnerstags- und Freitagsausgaben durch.
Das
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