Sein letzter Fall - Fallet G
Unwahrscheinlichste, was ich gehört habe, seit Renate auf die Idee gekommen ist, dass… nun ja, das hat nichts hiermit zu tun. Was meinst du?«
»Ich habe doch gesagt, dass es etwas verdreht ist.«
»Weißt du, wie G. in der Nacht nach Hause gekommen ist?«
»Nein, ich…«
»Mit dem Taxi. Er ist mit dem Taxi gefahren. Glaubst du, er hat sie in einem Bodybag auf den Rücksitz verfrachtet und dann mit Hilfe des Fahrers in die Villa geschleppt?«
»Hör auf«, sagte Münster. »Wir haben noch keine Bestätigung dafür bekommen, dass er wirklich Taxi gefahren ist, oder? Nur dass er gesagt hat, dass er es tun wollte.«
Van Veeteren betrachtete ihn kritisch.
»All right«, sagte er. »Da ist was dran. Wir müssen bei Meusse nachfragen, ob die Verletzungen auch auf andere Art und Weise zu Stande gekommen sein können als durch einen Sturz. Das müssen wir sowieso machen. Aber wenn es sich tatsächlich so zugetragen haben sollte, wie du behauptest, dann verspreche ich dir, ein Jahr lang deine Zehennägel zu schneiden.«
»Ausgezeichnet«, sagte Münster. »Da freue ich mich schon jetzt drauf. Aber ich möchte den Herrn Kommissar doch darauf hinweisen, dass er derjenige war, der G. festnageln wollte, nicht ich.«
»Ach, Blödsinn«, wehrte Van Veeteren ab. »Wir führen hier nur theoretische Überlegungen durch, ich dachte, du hättest dafür die Voraussetzungen. Ein paar Theorien testen, wenn man das nicht mehr darf, dann kommt man ja gar nicht mehr weiter.«
Münster blieb noch ein paar Sekunden lang sitzen und dachte nach. Dann stand er auf.
»Ich habe noch einiges anderes zu erledigen, wenn der Kommissar mich entschuldigt. Soll ich sagen, was ich glaube, wie Barbara Hennan umgekommen ist?«
»Wenn du meinst, dass es wichtig ist.«
»Danke. Ein Unglücksfall. Klar wie Kloßbrühe, der Herr Kommissar kann alle Nagelscheren wegpacken.«
Van Veeteren schnaubte.
»Inspektor Münster, vergiss nicht, dass du hier bei der Kripo nicht eingestellt worden bist, um Unglücksfälle zu untersuchen. Deine Aufgabe ist es, Verbrechen aufzudecken und aufzuklären. Und nicht einfach locker darüber hinwegzusehen.«
»Kapiert«, sagte Münster. »Sonst noch was?«
»Sowie mit deinem direkten Vorgesetzten Badminton zu spielen. Wann hast du Zeit? Morgen Nachmittag?«
»Kapiert«, wiederholte Münster und schlüpfte durch die Tür.
Er wird immer besser, dachte der Kommissar, als er wieder allein war. Kein Zweifel.
Aber er hat ja auch ein gutes Vorbild.
Inspektor Münster arbeitete jetzt seit gut zehn Jahren bei der Maardamer Polizei, war aber erst drei Jahre bei der Kripo. Der Übergang war zeitlich fast parallel damit verlaufen, dass Van Veeteren den Posten des alten Kommissars Mort übernommen hatte – und dass er immer häufiger ausgerechnet Münster in seiner unmittelbaren Nähe haben wollte. In den Fällen, in denen er aussuchen konnte, mit wem er zusammenarbeiten wollte, entschied er sich fast immer für ihn.
Es war natürlich nichts verkehrt mit Reinhart, deBries, Rooth, Nielsen oder Heinemann, aber nur mit Münster konnte er diese sich gegenseitig befruchtende Lehrer-Schüler-Beziehung entwickeln. Ein Spiel, das in unserem modernen Zeitalter viel zu misstrauisch beäugt wird, dachte er, und das er eigentlich auf Hesses
Das Glasperlenspiel
zurückführte. Ein Werk, von dem er annahm, dass es wohl nie auf irgendeiner Literaturliste in der Kriminologie erscheinen würde.
Und das sich auch nicht immer voll und ganz mit dem leicht dissonanten Ton vereinbaren ließ, der ab und zu zwischen den beiden ebenso selbstverständlich auftauchte wie zwischen zwei unterschiedlichen Geschwistern.
Das dazu, dachte er und schaute aus dem Fenster auf die Stadt, die erneut in üppigem Sonnenschein badete. Spekulationen und neunmalkluge Psychologie. Und offenbar keine gute Gelegenheit, um über Hesse nachzudenken. Oder über Münster.
Besser, eine Möglichkeit zu finden, wie mit diesem verfluchten G. umzugehen war.
Er sah ein, dass auch das leichter gesagt als getan war, zog seine Jacke aus und ging in die Kantine hinunter, um einen Kaffee zu trinken.
Verlangen fuhr langsam an der Villa Zephir vorbei und hielt fünfzig Meter weiter an. Er blieb fünf Minuten lang hinter dem Steuer sitzen, während er eine Zigarette rauchte und überlegte, wie er sich verhalten sollte. Hatte das Gefühl, dass es das Beste wäre, seine spontanen Gefühle zurückzuhalten. Keine Schlussfolgerungen zu ziehen, bevor er Gewissheit in der Grundfrage
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