Sein letzter Fall - Fallet G
stellen.
War Jaan G. Hennan wirklich schuld am Tod seiner Ehefrau? Gab es daran einen Zweifel?
Beyond a reasonable doubt
, wie der Leitstern besagte.
Er holte Papier und Stift heraus und notierte sich wieder einmal seine alten Steckenpferde.
Motiv?
Methode?
Gelegenheit?
Das Ganze war natürlich ein Schulexempel erster Klasse. Motive gab es reichlich. Mindestens eins Komma zwei Millionen Gulden. Mit der Methode war es im Großen und Ganzen genauso einfach: Ein Stoß in den Rücken und ein vierzehn Meter tiefer Fall auf den weiß gekachelten Betonboden – vielleicht auch erst ein Schlag auf den Kopf und dann das Opfer über den Rand geschubst.
Mit der Gelegenheit war es schlecht bestellt. Da es nach aller Erfahrung für eine Person unmöglich war, sich an zwei Orten gleichzeitig zu befinden, konnte Jaan G. Hennan die Tat nicht selbst ausgeführt haben, wenn er im Restaurant Colombine im Zentrum von Linden gesessen hatte, als sie begangen wurde.
Und es oblag dem Staatsanwalt, in allen drei Punkten eine Erklärung abzugeben – eine überzeugende Erklärung. Nicht nur in einem. Nicht nur in zweien.
Ergo?, dachte Kommissar Van Veeteren und schwankte zwischen einer Zigarette und einem Zahnstocher.
Bedeutet das, dass ich an seiner Schuld zweifle?
Er entschied sich für einen Zahnstocher und begann auf ihm herumzukauen.
Nicht die Bohne. Er ist schuldig wie Kain.
Noch einmal ergo?
Er dachte fünf Sekunden lang nach.
Ergo gab es zwei Alternativen.
Eins: G. hatte das Colombine an dem besagten Abend irgendwann doch verlassen. Trotz Verlangens wachsamer, aber wahrscheinlich leicht betrunkener Augen.
Zwei: Es gab einen Helfer.
Das war das zehnte Mal innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden, dass er zu dem gleichen Schluss kam.
Ausgezeichnet, dachte er. Die Analyse geht mit Siebenmeilenschritten voran.
Er sah auf der Uhr, dass es halb fünf geworden war, und beschloss, nach Hause zu fahren. Da es ein Mittwoch war, hatte er zumindest eine Schachpartie gegen Mahler im Vereinslokal vor sich, auf die er sich freuen konnte.
Im Fahrstuhl auf dem Weg nach unten überlegte er, ob G. wohl auch Schach spielte.
Hoffentlich nicht, dachte er und fragte sich gleichzeitig, warum er das eigentlich hoffte.
Es wurden drei Partien. Ein Sieg, eine Niederlage, ein Remis. Und auch aus dem Remis hätte ein Sieg werden können, wenn er nicht zum Schluss seine Bauernübermacht vermurkst hätte. Es war halb zwölf, als er das Vereinslokal im Styckargränd verließ, und er konnte feststellen, dass sich die Sommerwärme vom Tag noch hielt.
Das ist kein Abend, um sich in ein zweifelhaftes Ehebett zu legen, dachte er, während er zu Fuß die Alexanderlaan und die Wimmergraacht entlang ging. Ganz und gar nicht. Also, was war zu tun? Welche Alternative gab es?
Den Entschluss fasste er, als er an seinem parkenden Wagen vorbeikam, der zwanzig Meter vom sicheren Tor seines Heimes stand, er suchte in der Jackentasche nach den Schlüsseln und fand sie auch.
Warum eigentlich nicht?, dachte er und schloss die Wagentür auf. Eine Stunde mehr oder weniger, das machte doch wohl keinen Unterschied.
Die Villa Zephir lag still und unzugänglich wie ein Leichenschauhaus da, als er fünfundzwanzig Minuten später im Kammerweg anhielt. Er schaltete den Motor aus und betrachtete das dunkle Grün hinter der meterhohen Ziegelmauer. Nicht ein Licht war dort drinnen zu sehen. Ob G. wohl zu Hause war? Wahrscheinlich nicht, sonst wäre sicher in irgendeiner Form Licht zu sehen gewesen. Drinnen oder draußen, und so dicht konnten Buschwerk und Gestrüpp doch wohl nicht sein. Irgend ein kleiner Lichtstreifen wäre schon durchgedrungen. Andererseits schlief er ja vielleicht auch nur. Es war nach zwölf Uhr, man konnte nicht ausschließen, dass selbst G. die eine oder andere gute Angewohnheit hatte. Auch wenn das unwahrscheinlich erschien. Van Veeteren kurbelte das Seitenfenster herunter, konnte aber trotzdem keinerlei Konturen entdecken, weder die des Sprungturms noch die vom Haus an sich.
Ideal, dachte er. Ein idealer Platz, um seine Ehefrau loszuwerden.
Er stieg aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Überlegte einen Moment, ob er über die Mauer klettern und das Herz der Dunkelheit ein wenig genauer in Augenschein nehmen sollte, ließ es dann aber bleiben.
Melodramatisches nächtliches Eindringen stand nicht auf seinem Spielplan, und eine Begegnung mit einem hellwachen Mörder konnte kaum einem sinnvollen Zweck dienen. Stattdessen ging er
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