Sein mit Leib und Seele - Band 02
Dreißigern. Dass sie sich in einem Umfeld aus Luxus und Kunst bewegen, interessiert ihn überhaupt nicht. Im Endeffekt hat er sicherlich recht.
Wir spazieren den ganzen Tag lang durch Paris. Der Oktober ist außergewöhnlich mild und wir können uns auf eine Terrasse an der Seine setzen, um etwas zu trinken. So etwas würde ich auch gerne mit jemand anderem erleben – mit Charles … Wer weiß, vielleicht können wir eines Tages auch angezogen etwas miteinander unternehmen?
„Bedrückt dich etwas, Emma?“
„Es geht schon. Ich bin müde, das ist alles.“
„Ich auch. Ich wollte dich bitten, mich zum Hotel zu bringen. Ich möchte mich hinlegen.“
„In Ordnung, ich bringe dich hin. Wir haben ja noch den ganzen morgigen Tag, um Paris unsicher zu machen!“
Es ist wie verhext! Ich kann nicht vor dem Aufzug warten, ohne auf ihn zu treffen. In Anwesenheit meines Vaters ist mir das unsagbar peinlich. Nur, dass heute Morgen nicht Élisabeth dabei ist, um das Gespräch zu beginnen. Ich fühle schon, dass die Fahrt hinunter unendlich lang sein wird … Unsere Finger berühren einander auf dem Bedientableau. Es trifft mich wie ein Blitz. Der Stoppknopf, meine Strumpfhose … Ich schließe die Augen, um mich wieder zu fassen.
„Mister Maugham, wie geht es Ihnen?“
„Guten Tag! Sehr gut, vielen Dank!“
„Ich nehme an, dass Ihre Tochter Ihnen heute den Mamenchisaurus zeigt?“
„Machen Sie Witze? Sie haben einen in Paris?“
„Leider keinen echten, es ist eine Rekonstruktion. Aber er ist wirklich sehenswert. Auch der Rest der Ausstellung im Muséum national d’histoire naturelle ist beeindruckend.“
„Wolltest du mich heute dorthin bringen, Emma?“
„Klar! Aber Monsieur Delmonte hat mir die Überraschung verdorben!“
„Das tut mir leid, Emma. Ich muss mich beeilen. Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Tag!“
Er hat mir die Überraschung verdorben. Haha. Ich wusste überhaupt nichts von dieser Ausstellung. Während einer Kaffeepause bei Starbucks informiere ich mich darüber. Muséum national d’histoire naturelle, Sonderausstellung über Sauropoden, die größten Dinosaurier, die je gelebt haben. Wie konnte ich das übersehen? Dass sich meine Gedanken so vereinnahmen lassen … Und Charles? Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch er sich für Dinosaurier interessiert! Doch je besser ich ihn kenne, desto seltsamer erscheint er mir. Dennoch gefällt mir der Gedanke, dass er sich schlaugemacht hat, um bei meinem Vater gut anzukommen, der im siebten Himmel ist, wenn er einen Mamenchisaurus zu Gesicht bekommt.
„Weißt du, was das heißt? Ein Mamenchisaurus? Weißt du, dass das der größte Dinosaurier ist, den es jemals gegeben hat?“
„Ja, Papa. Du hast mir viel über ihn erzählt.“
„Es war eine wunderbare Idee von dir, nach Paris zu ziehen! Und dein Nachbar ist ja so ein netter Kerl!“
Charles Delmonte, ein netter Kerl! Ich pruste vor Lachen. Er war heute Morgen wirklich sehr freundlich. Er muss eine gute Phase haben … doch wie lange noch?
Die vier Tage vergehen viel zu schnell. Wir haben zu einer Vertrautheit zurückgefunden, die mir unheimlich gefehlt hat. Wir sprechen nicht viel, doch wir genießen es, zusammen zu sein. Ich zeige ihm alles, auch die Mensa, und wir teilen uns einen Teller Fleisch mit brauner Soße. Er scheint alles wahnsinnig amüsant zu finden. Manon und Mathieu zeigen ihm jeden Winkel der Fakultät, die Bibliotheken, die Labors … Es ist, als hätte Harry Potter seinen ersten Schultag.
Und dann – ich kann es gar nicht richtig fassen – ist unsere gemeinsame Zeit auch schon wieder vorbei. Ich begleite ihn nach unten, wo das Taxi schon auf ihn wartet. Ich bin todtraurig. Er nimmt mich in den Arm und sagt:
„Vielen Dank für alles, es ist lange her, dass ich mich so gut unterhalten habe … Ich bin wirklich froh, dass es dir hier so gut geht. Du hast nette Freunde gefunden. Ich bin sicher, dass du hier noch einiges erleben wirst!“
Einiges erleben – ja, ganz sicher sogar. Doch um welchen Preis?
7. Die Wandlung
„Es freut mich, feststellen zu können, dass sich Ihr Urteilsvermögen verbessert hat. Etwas Anstrengung zahlt sich ja doch aus.“
Ja, das und sich an den Haaren packen und auf Russisch beschimpfen zu lassen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Meine Professorin sieht mich fragend an.
„Schön, dass Ihnen das gefällt. Wir sehen uns in drei Wochen wieder. Bis dahin denken Sie über Ihr Thema und Ihren Ansatz nach.“
Madame
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