Sein mit Leib und Seele - Band 02
Granchamps sieht mir wohlwollend und neugierig dabei zu, wie ich meine Sachen einpacke.
„Irgendwie haben Sie sich verändert. Sie strahlen ja geradezu. Sind Sie jetzt glücklicher? Wenn dieses Glück noch etwas andauert, kann es sich nur positiv auf Ihre Arbeit auswirken.“
Glücklicher? Das bezweifle ich. Ich habe mir seit der Abreise meines Vaters wegen meiner wiederholten Enttäuschungen die Augen ausgeweint … Doch irgendwie hat sie auch recht. Ich fühle mich jetzt wohler in meiner Haut. Als hätte ich davor noch gar nicht richtig gelebt. Ich denke, daran ist die Liebe schuld. Oder die Leidenschaft. Auf jeden Fall hat mich etwas erweckt.
Ich habe Charles seit der Episode im Aufzug mit meinem Vater nicht mehr gesehen. Ich warte auf morgen, auf die Vernissage. Ich bin neugierig, ihn zu sehen, wie er sich in seinem Milieu bewegt. Und ich?
Ich möchte elegant, aber nicht bemüht aussehen, ich glaube, das ist das Geheimnis. Ich kann ohne Weiteres den ganzen Nachmittag im Badezimmer verbringen, sagt Manon, man darf es danach nur nicht sehen. Ich habe mir zu diesem Anlass neue Unterwäsche gekauft, die sich unter dem schwarzen Dior-Kleid nicht abzeichnet. Ich muss es tragen, ich habe keine andere Wahl. Entweder Dior oder mein graues Schulmädchenkleid, und Charles hat mir sehr genau zu verstehen gegeben, was er davon hält. Mein schwarzes Kleid und die Seidenstrümpfe. Schmuck? Werde ich es wagen, die Diamanten von Lady MacAllister zu tragen? Ich hätte sie ihm zurückgeben müssen … Nein, ich gehe ohne Schmuck. Es wäre wohl etwas unschicklich. Nur dieses hauchdünne Kleid und sonst nichts. Es handelt sich ja schließlich nicht um die Hochzeit eines Prinzen, sondern um eine Vernissage! Nein, ich sehe auch so sehr gut aus. Ich bin fertig und sehe umwerfend aus! – Doch leider ist es erst 17 Uhr, und auf der Einladung steht 19 Uhr. Ich muss noch zwei Stunden totschlagen. Ich beschließe, mein Kleid auszuziehen, um es nicht zu zerknittern. Ich blicke in den Spiegel. Ich bin sexy. Jedenfalls glaube ich das. Ich mustere mich im Spiegel. Werde ich ihm gefallen? Ich habe mich noch nie so genau mit meinen Brüsten befasst. Ich denke, sie sind in Ordnung. „In Ordnung“! Das habe ich davon, dass ich meine Jugend mit Büchern verbracht habe! Welche Art von Brüsten mögen Männer? Ich öffne meinen BH und halte meine Brüste mit meinen Händen. Ich bebe. Ich denke an seine Hände. An seine warmen, kräftigen Hände. Meine Augen strahlen, wie ich es an mir noch nie gesehen habe. Sinnlich. Das wird ihm gefallen, da bin ich sicher. Ich beginne, mich zu streicheln, wie er es getan hat. Es ist teuflisch, es ist, als würde mein Blut anfangen, zu kochen. Er sollte jetzt hier sein, ich bin heiß auf ihn. Umsonst. Und es ist 18:45! Schnell, das Kleid!
8. Der große Abend
Es wird angestoßen. Man lacht elegant. Ich kenne niemanden und habe den Eindruck, ein Kind zu sein, das sich in eine Welt von unerreichbaren Erwachsenen verirrt hat. Wo sind Élisabeth und Charles? Ich weiß nicht, wo ich stehen soll, und beschließe, mir die Kunstwerke anzusehen, um die Zeit totzuschlagen. Man kommt diesen Kunstwerken schließlich auch nicht aus, sie beherrschen den Raum. Die Schwestern sind Bildhauerinnen. Die Ausstellung besteht aus zwei enormen Skulpturen, die wie zwei Berge aus roter Erde in der Mitte der eleganten Galerie stehen. Als ich mich ihnen nähere, erkenne ich, dass es sich um monumentale, jedoch eher klassisch gehaltene Madonnen mit Kind handelt – abgesehen davon, dass sie (so hoffe ich zumindest) auf der Erde dargestellt sind und Maria einen wahrhaft verstörenden Gesichtsausdruck zeigt. Ein abnorm großer Mund mit einem beängstigenden verzerrten Lachen, das wohl irgendwo zwischen Leiden und Freude liegt. Ich weiß nicht, ob ich es schön finden soll, doch es ist faszinierend.
„Verstörend, nicht wahr?“
Auf den Mann, der mich soeben angesprochen hat, passt diese Beschreibung nicht minder. Er ist riesig, hager und blass wie ein Vampir, doch seine Augen verraten, dass er noch nicht sehr alt ist. Er muss etwa 30 sein. Die Kenntnisse, die ich mir in der letzten Zeit aneignen konnte, verraten mir anhand seines edlen Anzugs, dass er reich sein muss. Einer von Charles' Freunden?
„François du Tertre, sehr erfreut“, sagt er und gibt mir die Hand.
„Emma Maugham.“
„Was für ein netter Akzent! Kommen Sie extra aus den Vereinigten Staaten, um die Madonnen zu bewundern?“
„Nein, ich bin Studentin
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