Sein mit Leib und Seele - Band 09
Fall versuchen.“
Er hält mir das Telefon hin.
„Aber ich habe ihre Nummer nicht. Und es gibt keinen Grund, mich so zu drängen! Warum wolltest du, dass ich nach Hause fahre, bevor du überhaupt wusstest, dass was mit meinem Vater ist? Du willst, dass ich abhaue, stimmt’s?“
„Nein. Ruf an.“
Ich habe ihn gerade angeschrien und er ist ganz ruhig geblieben. Er hat mich um die Taille gefasst und mir lange in die Augen gesehen, bevor er in einer Mischung aus Zärtlichkeit und entwaffnender Heftigkeit seinen Mund auf meinen gepresst hat. Dann drückt er mich sanft auf das Sofa.
„Ruf an. Soll ich bei dir bleiben?“
„Nein, ich brauche dich nicht!“
„Pardon, ich habe mich schlecht ausgedrückt, das war keine Frage. Ich bleibe bei dir und du rufst an.“
Er öffnet meinen Laptop wieder und stellt ihn auf meine Knie … Und wie ich ihn brauche! Ich wollte nur nicht, dass er sieht, wie ich lange zögere, bevor ich zum Telefon greife, und überlege, was ich sagen soll oder was man mir erzählen wird. Ich will nicht, dass er sieht, dass ich Angst habe, schwach bin. Wie ekelhaft von mir! Während ich mir diese dummen Fragen stelle, ist mein Vater vielleicht … tot. Tot. Ich versuche, diesen Gedanken zu unterdrücken, aber mit dieser Möglichkeit muss ich wohl rechnen. Ich denke an das Wort „tot“ und habe das Gefühl, über einem Abgrund zu schweben. Schwarz und tief. Ich spüre Charles’ Hand auf meiner Schulter, er drückt sie sanft.
Ich muss telefonieren.
3. Wie früher
„Sie werden aufgefordert, während der Ermittlung das Land nicht zu verlassen.“
Ich glaube, ich spinne! Ich werde entführt, von rabiaten Irren malträtiert, ich entgehe knapp meinem Tod und werde jetzt behandelt wie eine Ladendiebin! Wenn ich daran zurückdenke, könnte ich diesen Bullen erwürgen. Zum Glück hat der ermittelnde Inspektor etwas mehr Herz und einen gesunden Menschenverstand, sonst würde ich noch immer auf dem Stuhl im Flur der Polizei am Quai des Orfèvres verschimmeln. Ich habe trotzdem ein Recht darauf, meinen Vater zu besuchen, verdammt!
„Sie müssen uns nicht auf dem Laufenden halten“, hat er mir erklärt.
So ist es schon besser, auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, ich werde verdächtigt. Charles konnte mich wegen eines späteren Termins nicht begleiten. Er versichert mir, es sei nur eine Formalität und er würde bald nach Lansing nachkommen. Hoffen wir’s. Ich glaube, ich werde ihn brauchen. Es scheint ihm nicht wichtig zu sein, als wen ich ihn meinem Vater vorstelle. Sie haben sich ja bereits kennengelernt, sagen wir mal, als mein „Freund“. Witzig, wenn es eine Bezeichnung gibt, die nicht zu Charles passt, dann ist es „Freund“ … Mein „Liebhaber“?
Ich musste die Nachbarin nicht lange ausfragen. Ich hatte ganz vergessen, wie geschwätzig sie ist … und neugierig. Dass mein Vater so schnell ins Krankenhaus kam, ist ihr zu verdanken. Wenn sie ihre Zeit nicht damit verbringen würde, ihre Nachbarn auszuspionieren (sie würde sagen: „zufällig gesehen“), hätte sie ihn nicht in der Küche zusammenbrechen sehen. Nun ist er im Krankenhaus, am Leben, und erholt sich. Sie schwört, sie hätte vergeblich versucht, mich zu erreichen … Per Gedankenübertragung, vermute ich. Egal, Hauptsache, es geht meinem Vater gut. Na ja, besser. Sie sagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Sie ist zwar kein Ärztin, aber ich glaube ihr lieber.
Es ist merkwürdig, Charles’ Privatjet ohne ihn zu nutzen. Wieder mal fühle ich mich völlig fremd. Ich weiß nicht, wie ich mich in diese übergroßen und viel zu bequemen Sitze setzen soll. Ich befürchte, den Teppichboden mit meinen Turnschuhen dreckig zu machen, ich weiß nicht, wie ich mit dem Personal reden soll, dessen stille Sorgfalt mich völlig einschüchtert. Am Flughafen wird ein Auto auf mich warten und nach Hause bringen. Charles wollte, dass ich es in Lansing nutze, aber das möchte ich nicht. Dort habe ich einen alten Kombi, der viel besser zu dem einfachen Leben meines Vaters und mir passt. Eine dicke Limousine würde das Ökosystem unserer Siedlung völlig durcheinanderbringen … Ich wüsste auch gar nicht, was ich mit dem Fahrer machen soll. Ich kann mir nicht vorstellen, ihn mit seiner schwarzen Uniform mitten im Wohnviertel zu entlassen. Nein, ich lasse mich nach Hause fahren und dann kann er zurückfahren und seiner Beschäftigung nachgehen – sicher bin ich nicht seine einzige Kundin. Während ich warte, werde ich versuchen,
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