Sein mit Leib und Seele Band 10
offensichtlich nicht. Ihr seidenes Halstuch weht mit dem eisigen Wind, ihre schmalen Absätze hallen wider. Ihr Schritt wird schneller. Hat sie vielleicht bemerkt, dass sie verfolgt wird? Nein, sie möchte den Bus noch kriegen. Ich schlage meinen Kragen hoch und beginne ebenfalls zu laufen. Es gelingt mir, eine Person zwischen uns zu lassen. Sie hat mich nicht gesehen. Sie liest eine Tageszeitung. An der Porte de Champerret steigen wir aus und warten auf einen anderen Bus. Ich habe Glück, es ist Berufsverkehr und ich bleibe leicht unentdeckt. Endlich steigt sie vor einem großen Gebäude aus, in das sie mit sicherem Schritt hineingeht. Es ist das Amerikanische Krankenhaus. Was hat sie hier zu suchen? Besucht sie jemanden? Ist sie krank? Arbeitet sie hier? Ich warte einige Minuten und beschließe dann, hineinzugehen. Die Empfangshalle ist groß und hell. Ich muss Bescheid wissen, also gehe ich zu dem jungen Mädchen am Empfang. Ich gehe aufs Ganze.
„Hallo, ich würde gern wissen, ob Mary Clowes heute arbeitet.“
„Doktor Clowes, ja, sie ist gerade angekommen. Sehen Sie, dort …“
Die Frau in der weißen Bluse steht wenige Meter neben mir. Sie sieht mich fragend an. Wir sind beide wie erstarrt. Es ist wie in einem Albtraum, ich versuche, etwas zu sagen, aber die Worte kommen nicht über meine Lippen. Ich drehe mich um und laufe davon.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich einfach nur gerannt bin. Sie hat meinen Namen gerufen, da bin ich sicher, ich habe ihn sehr deutlich gehört, bevor ich aus der Tür heraus bin. Ich kann nicht nachdenken, laufe eilig ziellos umher. Der eisige Wind trocknet meine Tränen, sobald sie rollen.
Die Kälte lässt mich wieder zu mir kommen. Ich bin in Monceau. Wie diese verirrten Hunde, die immer wieder allein ihren Weg nach Hause finden, haben mich meine Schritte zu ihm geführt. Ironischerweise steht ein eleganter Mann an die Tür gelehnt. Für einige geht das Leben weiter, die Liebe auch … Er blickt mich an. Lange, verliebt.
„Emma.“
„Charles … Bist … Bist du es wirklich?“
„Habe ich mich so sehr verändert? Es ist doch gar nicht lange her …“
„Aber was machst du hier? Du solltest nicht hier sein, jeder sieht dich … Du solltest dich verstecken.“
„Komm. Verstecken wir uns also.“
Mit einer Handbewegung hat er einen Schlüssel hervorgezogen und in das Schloss gesteckt. Es ist nicht die Tür seines Luxushotels, sondern die nebenan. Wir stehen in einer riesigen, stillen Halle, die identisch zu sein scheint mit der, die ich kenne. Das Licht geht an und ich erkenne, dass sie das genaue Gegenteil ist. Hier ist alles weiß, hell. Der Boden und die Wände sind aus weißem Marmor, dutzende Kristallleuchter blenden uns. Es ist zauberhaft.
„Gefällt es dir?“
„Ja“, hauche ich, während sich sein Mund endlich auf meinen presst.
„Versprich mir, dass du nicht gleich wieder gehst …“
„Wir haben die ganze Nacht für uns … und noch mehr, wenn du willst.“
„Willst du sagen, dass …“
„Darüber reden wir morgen … Aber ich werde nicht mehr beschuldigt … dank dir.“
Ich will nichts mehr davon hören. Es hat zu lange gedauert. Ich spüre, wie sich sein Gesicht in meinem Hals vergräbt, ich sehe in die Lichter, bis mir die Augen schmerzen, während mein betäubter Körper unter der Hitze seiner Küsse erwacht.
„Aber du zitterst ja … Ist dir kalt?“
Mir ist nicht kalt. Das ist die Heftigkeit meines Verlangens. Es ist mein Körper, der nach einer schmerzhaften Sehnsucht plötzlich erwacht. Ihn an mir zu spüren, so heftig, sein Parfüm zu riechen, den Geruch seiner Haut … Ich weiß nicht, ob ich auf der Stelle in Ohnmacht fallen oder einen Orgasmus bekommen soll. Er löst sich einen Moment lang von mir und blickt mir tief in die Augen.
„Wie schön du bist.“
Seine Augen glänzen vor animalischem Verlangen, das mich schmerzt. Ich will ihn an mir spüren, in mir, sofort.
„Küss mich.“
Unsere Münder treffen stürmisch aufeinander, unsere Zungen verschmelzen. Ich führe seine Hände unter meinen Rock, während ich fiebrig seinen Gürtel öffne. Gleich darauf ist er in mir, meinen Schenkel an seine Taille gedrückt. Ich fahre ihm unter sein Hemd und kralle meine Nägel in seine Schultern. Ich weiß nicht, woher diese geradezu brutale Lust kommt, sicherlich von seiner langen Abwesenheit, von dieser faden Internetbeziehung. Ich beiße ihm in die Unterlippe, während unsere Becken aneinanderstoßen. Der Geschmack seines
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