Sein mit Leib und Seele Band 10
und drei Personen treten ein. Es sind eine freundliche Pflegerin und ein schüchternes Paar in den Vierzigern. Sie wirft mir ein angedeutetes, fragendes Lächeln zu und lässt das Paar in den Sesseln Platz nehmen.
„Ich bin gleich wieder da“, verspricht sie.
Die Frau lächelt mich an, sie hat das Bedürfnis zu reden.
„Guten Tag, Mademoiselle. Haben Sie Familie hier?“
„Nein, nun, ich hatte Familie hier.“
„Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht belästigen. Es ist nur so, dass wir zum ersten Mal hier sind. Unsere Mutter braucht einen Platz … Sie ist krank und wir können uns nicht um sie kümmern. Sie ist verwirrt.“
„Ich verstehe, eine schwierige Entscheidung …“
„Ja, wir haben bereits mehrere Einrichtungen besichtigt. Diese hier ist die teuerste, aber wenn sie auch die beste ist …“
Mir bleibt keine Zeit, sie zu beruhigen, die Tür öffnet sich und Madame Lefebvre, die noch immer wütend ist, starrt mich an.
„Mademoiselle Maugham, wenn Sie mir bitte folgen möchten. Jetzt.“
Ich folge ihr durch die langen leeren Flure der Klinik. Noch immer herrscht eine Grabesstille. Die „Kranken“ sind wohl oben. Sie klopft an eine Tür aus Holz.
„Doktor Belgrand. Die Person, von der ich sprach.“
Sie wirkt noch immer gekränkt. Er wirft ihr einen neugierigen Blick zu, als handelte es sich um einen exotischen Vogel. Sie geht hinaus und er bittet mich, Platz zu nehmen. Er sitzt hinter einem imposanten Schreibtisch, neben ihm steht eine unauffällige junge Frau.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ich vertrete die Interessen von Monsieur Delmonte und würde gern mehr über den Aufenthalt seiner Frau bei Ihnen erfahren.“
„Alice Duval, richtig?“
Er wirkt viel kooperativer. Er öffnet die Akte und überfliegt sie.
„Hören Sie, Mademoiselle, dies ist ein absolut unüblicher Vorgang und ich befürchte, er ist nicht ganz legal.“
Ich mag sein Lächeln. Er erinnert mich an meinen Vater. Ein Lächeln, das zu sagen scheint: „Nun, ich bin nicht wirklich befugt, das zu tun, aber ich helfe Ihnen. Sie sind mir sympathisch.“
„Leider gibt es da nicht viel zu sagen. Die Akte von Alice Duval ist von trostloser Banalität. Sie war lange in einem quasi-vegetativen Zustand, dann wachte sie auf, machte eine kurze Therapie bei einem Kollegen und wurde dann entlassen.“
„Und dieser Kollege?“
„Wird Ihnen nicht mehr helfen können. Er ist letzte Woche von uns gegangen, ein Herzanfall.“
„Und die Akte?“
„Liegt vor mir. Aber sie offenbart nichts Spannendes. Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Die übliche Behandlung, öde Sitzungen, die klassischen Medikamente … Nichts Außergewöhnliches.“
Er schließt die Akte und lächelt.
„Ich weiß nicht, wonach Sie suchen, aber Sie werden es nicht in dieser Akte finden. Tut mir leid. Meine Kollegin wird Sie hinausbegleiten.“
Die erwähnte Kollegin bleibt verkrampft und fühlt sich sichtlich unwohl. Die Tür schließt sich und ich sehe gerade noch, wie Doktor Belgrand die Akte in den Papierkorb wirft. Er hat mich reingelegt. Dieses Lächeln, sein Entgegenkommen, das sollte mich einwickeln …
„Was verbergen Sie vor mir?“
Die Assistentin sieht mich bestürzt an.
„Versuchen Sie nicht auch, mich anzulügen. Ich weiß sehr wohl, dass Ihr Chef das gerade getan hat.“
„Aber nein … nichts dergleichen.“
„Sie scheinen mir jemand Ehrliches zu sein. Es ist mir nicht entgangen, dass Sie sich unwohl fühlten.“
„Ich … Ja. Aber hier kann ich nicht mit Ihnen sprechen.“
„Wann?“
Wir stehen auf der Treppe. Ich blicke sie schneidend an. Das ist meine letzte Chance.
„An der Ausfahrt der Stadt gibt es ein Café. Treffen Sie mich dort in einer Stunde.“
„Verstanden.“
Sie schließt schnell das Tor hinter mir. Ich weiß nicht, ob sie wirklich kommen wird.
Die besagte Bar ist ein kleines Gasthaus, wie man sie oft am Rand der französischen Landstraßen findet. Man serviert dort Eier an Mayonnaise und Steaks mit Pommes frites. Im Moment gibt es hier nur einen Fernfahrer, der am Tresen seinen Kaffee trinkt. Ich suche mir einen Platz im hinteren Teil des Raumes und bestelle einen Tee. Die Assistentin ist pünktlich. Sie lässt mir gar nicht erst die Zeit, unser Gespräch einzuleiten. Es ist deutlich zu spüren, dass sie etwas bedrückt.
„Der Arzt, der mit Madame Duval betraut war, ist nicht gestorben. Er ist verschwunden.“
„Wie das?“
„Es handelte sich um eine externe Fachkraft. Er wurde
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