Sein mit Leib und Seele Band 10
und wir reden noch ein wenig. Er ist müde, sein Gesicht ist verzerrt, aber sein animalischer Charakter hat nichts von seiner Macht über mich verloren. Seine Blicke auf meinem Körper zu spüren, auch wenn nur auf virtuelle Art, erregt mich aufs Höchste. Ich halte mich zurück, sein Gesicht auf dem Bildschirm zu streicheln …
Ich erzähle ihm von meiner Mutter. Seiner Meinung nach ist es eine gute Idee, sie zu suchen. Er selbst kannte seine Eltern nur wenig, erzählt er, es waren offensichtlich sehr steife Leute, die großen Wert auf Konventionen und die Wahrung des Scheins legten. Er sagt, er beneide mich um mein Verhältnis zu meinem Vater.
„Eine Beziehung, die auf einer Lüge basiert, das macht dich neidisch?“
Ich kann ein Schluchzen nicht unterdrücken.
„Nach all den Jahren würde ich das so nicht sagen. Er hat gelogen, gewiss, aber eure Verbundenheit war echt. Sie hatte mit dieser Lüge nichts zu tun. Und letztendlich ist sie nach all der Zeit zu seiner Wahrheit geworden. Stellt das irgendwie eure Liebe infrage?“
Ich weine. Natürlich nicht, aber ich hätte so gern … Ich wische mir wie ein Kind die Tränen mit dem Ärmel ab.
„Im Handschuhfach.“
„Hm?“
„Im Handschuhfach sind Taschentücher.“
„Danke.“
2. Erinnerungen und falsche Erinnerungen
Bei mir zu bleiben und darauf zu warten, dass das Telefon klingelt, wird mir nicht weiterhelfen. Außerdem habe ich ja ein Handy. Ich sagte, ich würde zur Klinik fahren. Also los, nichts wie hin. Ich habe noch immer keinen plausiblen Vorwand, aber ich will es versuchen. Ich probiere es mit Selbstsicherheit. Ein schickes Outfit und vor nichts zurückschreckend. Das funktioniert oft. Zumindest bei mir.
Ich gebe die Adresse der Klinik in Vire ins GPS ein und los geht’s. Die normannische Landschaft, die ich mal so bezaubernd fand, gibt sich heute kalt und nackt. Zum Teil auch deshalb, weil ich allein bin. Nicht mal ein virtueller Charles, der mich begleitet.
„Sie haben Ihr Ziel erreicht.“
Beim ersten Mal hatten wir, vor Blicken geschützt, auf einem Feld geparkt. Heute klingle ich an der Sprechanlage des beeindruckenden schmiedeeisernen Tors.
„Ja?“
„Emma Maugham, von Delmonte Incorporated.“
Mein Tonfall muss sie überzeugt haben, das Tor öffnet sich in der Stille. Der Park ist menschenleer, ein feiner Eisregen hat eingesetzt. Ich halte auf dem beinah leeren Parkplatz und steige die Stufen der Außentreppe hinauf. Ein junger Mann in weißem Hemd empfängt mich mit einem strahlenden Lächeln.
„Guten Tag! Möchten Sie jemanden besuchen?“
„Hallo! Nein. Ich vertrete die Interessen von Monsieur Delmonte, dessen Frau jüngst unter tragischen Umständen verstorben ist. Ich möchte gern mit einem Verantwortlichen sprechen.“
Sein Lächeln ist dahin. Er führt mich in ein kleines Zimmer mit bequemen Sesseln und Strickzeitschriften. Hier drinnen ist es viel zu heiß, es riecht nach Suppe. Ich hasse diesen Ort jetzt schon. Eine Frau von beachtlicher Statur betritt den Raum.
„Guten Tag. Brigitte Lefebvre, ich bin die stellvertretende Direktorin dieser Einrichtung. Bitte entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten, aber der Kollege, der Ihnen geöffnet hat, hat den Grund Ihres Besuches nicht richtig verstanden.“
Ich wiederhole ganz selbstsicher den Zauberspruch.
„Ich vertrete die Interessen von Monsieur Delmonte, dessen Frau jüngst unter tragischen Umständen verstorben ist. Ich möchte gern mit einem Verantwortlichen sprechen.“
„Gehören Sie zur Familie?“
„Nein.“
„In diesem Fall, Madame … Mademoiselle, muss ich Sie bitten zu gehen.“
„Das kommt nicht infrage.“
„Möchten Sie, dass ich den Sicherheitsdienst rufe?“
Ich verstehe wohl, welches Spiel sie spielt. Das trifft sich gut, langsam kenne ich mich aus. Sie versucht, mich einzuschüchtern, aber das funktioniert bei mir nicht. Ihr Sicherheitsdienst bewirkt nichts. Ich rühre mich nicht.
„Ich möchte nur mit einem Verantwortlichen sprechen. Ich warte.“
Madame Lefebvre wird wütend. Sie macht auf dem Absatz kehrt und versucht, die Tür zuzuschlagen. Dumm nur, dass diese mit einem Mechanismus ausgestattet ist, der diese Art von Lärm verhindert. Ich lächle. Ich höre, wie sie den Pfleger, der mir geöffnet hat, anschnauzt … Der Ärmste. Natürlich habe ich nicht eine Sekunde an diese Geschichte mit dem Sicherheitsdienst geglaubt. Um die Wartezeit zu überbrücken, blättere ich in einem Strickmagazin.
Dann öffnet sich die Tür
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