Seine Exzellenz Eugène Rougon
sind solche
Klatschnester.«
Rougon nickte zustimmend. Die feiste Frau Correur, rosig
geschminkt und gelb gekleidet, schien ihm in der Provinz
tatsächlich kompromittierend.
»Haben Sie Ihren Bruder gesehen?« fragte er.
»Ja, ja«, knirschte sie mit zusammengepreßten Zähnen. »Frau
Martineau hat nicht gewagt, mich vor die Tür zu setzen, aber sie
hat hinter mir mit Zucker ausgeräuchert… Der arme Bruder! Ich
wußte, daß er krank sei, aber es gab mir wirklich einen Stich ins
Herz, ihn so abgefallen zu sehen. Er hat mir versprochen, mich
nicht zu enterben; das sei gegen seine Grundsätze. Das Testament
ist geschrieben, das Vermögen wird zwischen mir und Frau Martineau
geteilt… Nicht wahr. Herminie?«
»Das Vermögen wird geteilt«, bestätigte die Angeredete. »Er hat
es gesagt, als Sie eintraten, und er hat es wiederholt, als er
Ihnen die Tür wies. Gewiß, ich habe es gehört!«
Inzwischen verabschiedete Rougon die beiden Frauen mit den
Worten:
»Gut, es freut mich sehr! Sie sind jetzt ruhiger. Mein Gott,
Familienzwistigkeiten werden schließlich immer beigelegt. Guten
Abend also. Ich lege mich schlafen.«
Aber Frau Correur hielt ihn zurück. Sie hatte ihr Taschentuch
gezogen und drückte es in einem Verzweiflungsanfall vor die
Augen.
»Der arme Martineau!… Er war so gut, er hat mir so leicht
verziehen!… Wenn Sie wüßten, mein Freund. Seinetwegen bin ich
gekommen, um Sie für ihn anzuflehen… « Tränen erstickten ihre Stimme. Sie schluchzte laut
auf. Rougon, der nicht begriff, was es bedeuten sollte, blickte
erstaunt auf die beiden. Fräulein Herminie Billecoq weinte
gleichfalls, aber leiser; sie war sehr zartfühlend, sie litt an der
ansteckenden Rührseligkeit. Sie sprach zuerst und stammelte:
»Herr Martineau hat sich politisch kompromittiert.«
Da fand auch Frau Correur wieder Worte und ließ ihrem Redestrom
freien Lauf.
»Sie werden sich entsinnen, daß ich Ihnen gegenüber eines Tages
Bedenken geäußert habe. Ich hatte ein Vorgefühl… Martineau ging
unter die Republikaner. Bei den letzten Wahlen hat er sich dazu
hinreißen lassen, nach Kräften für den Kandidaten der Opposition zu
wirken. Ich kannte die Einzelheiten, will Sie aber damit
verschonen. Kurz, es konnte kein gutes Ende nehmen. Sobald ich zu
Goulonges im ›Goldenen Löwen‹ abgestiegen war, begann ich zu fragen
und erfuhr alles. Martineau hat alle möglichen Dummheiten begangen.
Es würde niemanden im Lande wundernehmen, wenn er verhaftet würde.
Man erwartet von Tag zu Tag, daß die Gendarmen ihn fortschleppen…
Denken Sie sich, was für ein Unglück das für mich wäre! Deshalb
habe ich an Sie gedacht, mein Freund… «
Wieder erstickte ihre Stimme in Schluchzen. Rougon suchte sie zu
beruhigen. Er wolle mit Du Poizat reden und die Verfolgung
aufhalten, falls sie schon begonnen hätte. Er ließ sich selbst das
Wort entschlüpfen:
»Ich bin der Herr, schlafen Sie ruhig!«
Frau Correur nickte und wickelte mit trockenen Augen ihr
Taschentuch zusammen. Dann fügte sie noch leise hinzu:
»Nein, nein, Sie haben keine Ahnung: Es ist schlimmer, als Sie
sich vorstellen können… Er geleitet seine Frau zur Messe und bleibt selbst an der Tür, weil er keinen
Fuß in die Kirche setzen will. Das ist ein Ärgernis Sonntag für
Sonntag. Er besucht oft einen alten Advokaten, der sich dorthin
zurückgezogen hat, einen Achtundvierziger, mit dem man ihn
stundenlang schreckliche Dinge reden hört. Oft hat man
nächtlicherweile verdächtige Gestalten in seinen Garten schlüpfen
sehen, ohne Zweifel, um irgendein Losungswort zu holen.«
Bei jedem Satze zuckte Rougon die Achseln; aber Fräulein
Billecoq fügte erregt hinzu, wie entrüstet über solche
Duldsamkeit:
»Und die rot gesiegelten Briefe, die er aus allen Weltgegenden
bekommt, wie uns der Briefträger gesagt hat. Er wollte nicht mit
der Sprache heraus, er war ganz bleich. Wir haben ihm zwanzig Sous
geben müssen … Und seine letzte Reise vor vier Wochen. Er ist
acht Tage fort gewesen, und noch heute weiß niemand in der Gegend
wohin. Die Wirtin vom ›Goldenen Löwen‹ hat uns versichert, er habe
nicht einmal einen Koffer mitgenommen.«
»Herminie, ich bitte Sie!« sagte Frau Gorreur beunruhigt.
»Martineau sitzt tief genug drin. Es ist nicht unsere Sache, seine
Lage noch zu verschlimmern.«
Rougon hörte jetzt zu und ließ seine Blicke von der einen zur
andern schweifen. Er war sehr ernst geworden und murmelte:
»Wenn er sich so kompromittiert hat! … «
Er
Weitere Kostenlose Bücher