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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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selbst in den Aktenbündeln
gefunden.«
    Gilquin schwieg einen Augenblick. Er glaubte zu bemerken, daß
die Frau des Gymnasialdirektors in der Ecke ihn nicht aus den Augen
lasse. Um seine Gestalt möglichst vorteilhaft zu zeigen, bog er
sich nieder und flüsterte Herrn Kahn zu:
    »Haben Sie von der Begegnung Du Poizats mit seinem Vater gehört?
Sie wissen, der Alte ist ein ehemaliger Gerichtsvollzieher, hat
sich reich gewuchert und lebt jetzt wie ein Wolf in einem alten,
halb eingefallenen Hause mit geladenen Schußwaffen im Flur …
Du Poizat, dem er zwanzigmal den Galgen prophezeit hat, träumte
schon lange davon, seinem Väter zu imponieren. Das war der
Hauptgrund, weshalb er hier Präfekt werden wollte… Eines Morgens
also wirft sich mein Du Poizat in Gala und klopft beim Alten an
unter dem Vorwande, er sei auf einer Inspektionsreise. Eine gute
Viertelstunde wird hin und her parlamentiert und endlich geöffnet. Ein blasser Alter starrt mit
verblüfftem Gesichte auf die goldgestickte Uniform. Wissen Sie, was
er sagte, als er erfuhr, sein Sohn sei Präfekt? ›He, Leopold,
schicke nicht mehr wegen der Steuern!‹ Im übrigen weder Erregung
noch Überraschung. Du Poizat kehrte heim mit eingekniffenen Lippen,
das Gesicht so weiß wie sein Hemd. Dieser Gleichmut seines Vaters
brachte ihn auf. Das war einer, bei dem er nicht aufkam.«
    Herr Kahn nickte leicht. Er hatte die Liste der Einladungen
wieder eingesteckt und trank nun ebenfalls eine Tasse Tee, wobei er
immer in den Salon hinüberblickte.
    »Rougon schläft im Stehen«, bemerkte er. »Diese Dummköpfe
sollten ihn schlafen gehen lassen. Er muß morgen bei Kräften
sein.«
    »Ich sehe ihn zum erstenmal wieder«, äußerte Gilquin. »Er ist
dick geworden.«
    Dann wiederholte er leise:
    »Sehr pfiffig diese Kerle! Sie müssen bei dem Hauptstreiche
einen kapitalen Kniff angewendet haben. Ich hatte ihnen die
Nachricht gebracht. Am andern Tage – bums! ging es dennoch los.
Rougon behauptet, er sei zur Polizei gegangen, wo niemand ihm habe
Glauben schenken wollen. Na, das ist schließlich seine Sache,
darüber brauchte man nicht zu reden … Dieses Vieh von Du
Poizat hatte mir ein famoses Frühstück in einem Boulevardcafé
bezahlt. Oh, war das ein Tag! Den Abend haben wir im Theater
zubringen müssen; ich entsinne mich an nichts mehr, ich habe zwei
Tage danach geschlafen.«
    Herr Kahn fand Gilquins vertrauliche Mitteilungen offenbar
beunruhigend und verließ den Speisesaal. Gilquin, allein
zurückgeblieben, war jetzt überzeugt, daß die Frau des
Gymnasialdirektors ihn entschieden ins Auge gefaßt habe. Er kehrte
in den Salon zurück, machte sich um sie zu schaffen und brachte ihr schließlich Tee, Gebäck und
Brötchen. Er sah gar nicht übel aus, wie ein Mensch von guter
Gesellschaft, aber schlechter Erziehung, was die schöne Blonde
allmählich zu erweichen schien. Der Abgeordnete erörterte
inzwischen die Notwendigkeit einer neuen Kirche in Niort, der
Bürgermeistergehilfe bat um eine Brücke, der Direktor um
Erweiterung des Gymnasialgebäudes, während die sechs Mitglieder der
statistischen Gesellschaft nur zustimmend nickten.
    »Wir werden morgen sehen, meine Herren«, versetzte Rougon mit
halbgeschlossenen Augen. »Ich bin gekommen, um Ihre Wünsche
kennenzulernen und Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«
    Um zehn Uhr kam ein Diener und flüsterte dem Präfekten ein Wort
zu. Als dieser es dem Minister zugeraunt hatte, eilte letzterer in
ein Nebenzimmer und fand hier Frau Correur. Sie hatte ein großes
und hageres Mädchen bei sich, dessen unschönes Gesicht ganz mit
Sommersprossen bedeckt war.
    »Wie, Sie sind in Niort?« rief Rougon.
    »Erst seit heute nachmittag«, erwiderte Frau Correur. »Wir sind
da gegenüber abgestiegen, im Hotel ›Stadt Paris‹ am
Präfekturplatz.«
    Darauf berichtete sie, daß sie von Coulonges komme, wo sie zwei
Tage zugebracht habe. Dann stellte sie das große Mädchen vor:
    »Fräulein Herminie Billecoq, die so freundlich war, mich zu
begleiten.«
    Herminie Billecoq verbeugte sich förmlich, und Frau Correur fuhr
fort:
    »Ich habe Ihnen von dieser Reise nichts gesagt, weil Sie
vielleicht mit mir unzufrieden gewesen wären, aber das Verlangen,
meinen Bruder zu sehen, hat mich überwältigt. … Als ich von Ihrer Reise nach Niort erfuhr, bin ich
hergeeilt. Wir haben Sie mit Späherblicken verfolgt und in die
Präfektur eintreten sehen; doch hielten wir es für besser, uns erst
spät vorzustellen. Die kleinen Städte

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