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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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glaubte, in den trüben Augen der Frau Correur eine Flamme
aufleuchten zu sehen, und fuhr fort:
    »Ich werde mein Möglichstes tun, aber ich kann nichts
versprechen.«
    »Ach, er ist verloren, er ist verloren!« rief Frau Correur. »Ich
fühle es … Wir wollen nichts sagen. Wenn wir Ihnen alles
sagten … «
    Sie hielt inne und kaute an ihrem
Taschentuch.
    »Zwanzig Jahre lang habe ich ihn nicht gesehen! Und ich muß ihn
wiederfinden, um ihn vielleicht nie wiederzusehen! … Er war so
gut, so gut!«
    Herminie zuckte leicht die Achseln und winkte Rougon zu, er möge
der Verzweiflung einer Schwester vergeben, aber der alte Notar sei
der schlechteste aller Halunken.
    »Ich an Ihrer Stelle würde alles berichten«, sagte sie. »Es ist
besser.«
    Da schien sich Frau Correur zu einer großen Tat aufzuraffen:
    »Sie erinnern sich, daß überall das Tedeum gesungen wurde, als
der Kaiser vor der Oper so wunderbar gerettet worden … Als man
es in Coulonges sang, fragte ein Nachbar Martineau, ob er nicht zur
Kirche gehen wolle, und dieser Unglückliche antwortete: ›Wozu in
die Kirche? Ich frage den Teufel nach dem Kaiser!‹«
    »Ich frage den Teufel nach dem Kaiser!« wiederholte Fräulein
Herminie Billecoq fassungslos.
    »Begreifen Sie jetzt meine Besorgnis?« führ Frau Correur fort.
»Ich sage Ihnen, seine Verhaftung würde niemanden in der Gegend
überraschen.«
    Bei diesen Worten sah Rougon ihr fest in die Augen. Er
antwortete nicht gleich. Er schien zum letztenmal dieses dicke,
schwammige Gesicht zu befragen, dessen matte Augen unter den
dünnen, blonden Brauen hervorzwinkerten. Einen Augenblick ruhte
sein Auge auf dem fetten, weißen Halse. Dann streckte er die Arme
aus und rief:
    »Ich vermag nichts, glauben Sie mir. Ich bin nicht der
Herr.«
    Dann führte er Gründe an. Er mache sich ein Gewissen daraus,
sich in solche Sachen zu mischen. Wenn die Gerechtigkeit sich zum
Einschreiten veranlaßt sehe, müsse man ihr
freien Lauf lassen. Hätte er Frau Correur doch lieber nicht
gekannt! Seine Freundschaft zu ihr könne ihm die Hände binden, aber
er habe geschworen, gewisse Dienste selbst seinen Freunden zu
verweigern. Er werde Erkundigungen einziehen. Schließlich begann
er, sie zu trösten, als ob ihr Bruder schon nach einer
Verbannungskolonie unterwegs sei. Sie senkte den Kopf und
schluchzte leise, wobei jedesmal der ungeheure blonde Haarwulst auf
ihrem Kopfe ins Wanken geriet. Endlich beruhigte sie sich. Als sie
sich verabschiedete, schob sie Herminie vor sich hin und sagte:
    »Fräulein Herminie Billecoq … Ich glaube, ich habe sie
Ihnen schon vorgestellt. Entschuldigen Sie, ich habe einen so
wirren Schädel! … Es ist das Fräulein, das auszustatten uns
gelungen ist. Der Offizier, ihr Verführer, hat sie noch nicht
heimführen können, weil die Förmlichkeiten kein Ende nehmen …
Danken Sie Seiner Exzellenz, liebes Kind!«
    Das Mädchen dankte errötend mit dem Gesichte einer Unschuld, die
ein unziemliches Wort vernommen hat. Frau Correur ließ sie
vorangehen, dann drückte sie Rougon sehr warm die Hand und
flüsterte ihm zu:
    »Ich rechne auf Sie, Eugène.«
    Als der Minister in den Salon zurückkehrte, fand er ihn leer. Es
war Du Poizat gelungen, den Abgeordneten, den ersten Adjunkten und
die sechs Mitglieder der statistischen Gesellschaft zu
verabschieden. Selbst Herr Kahn war gegangen, nachdem er die
Zusammenkunft auf zehn Uhr am nächsten Vormittag festgesetzt hatte.
Im Speisesaale waren nur noch die Frau des Direktors und Gilquin,
die Backwerk knabberten und dabei von Paris plauderten. Gilquin
warf zärtliche Blicke, sprach von den Rennen, vom Gemäldesalon, von
einer Erstaufführung im Französischen Lustspielhause mit der
Sicherheit eines Mannes, der in allen
Gesellschaftskreisen zu Hause ist.
Inzwischen berichtete der Direktor dem Präfekten leise über einen
Lehrer der Quarta, der in republikanischem Geruche stand. Es war
elf Uhr. Man erhob sich, um Seiner Exzellenz gute Nacht zu
wünschen, und Gilquin zog sich mit dem Direktor und dessen Frau
zurück, indem er ihr den Arm bot, aber Rougon winkte ihn zu
sich.
    »Herr Zentralkommissar, ich bitte um ein Wort.«
    Als sie allein waren, redete er zugleich ihn und den Präfekten
an:
    »Was für eine Geschichte ist das mit dem Martineau? … Ist
der Mann wirklich sehr verdächtig?«
    Gilquin lächelte, und Du Poizat berichtete Näheres:
    »Mein Gott, an den denke ich nicht. Man hat ihn angezeigt. Ich
habe Briefe erhalten … Freilich beschäftigt

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