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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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der
Kante der untersten Treppenstufe den Schädel gespaltet. Dieser
tragische Tod, dieses geheimnisvolle Drama, das sich ohne Zeugen
abgespielt, rief im ganzen Kreise die peinlichsten Gerüchte hervor.
Die Ärzte stellten wohl einen Schlagfluß fest. Die Feinde des
Präfekten behaupteten aber nichtsdestoweniger, daß dieser den Alten
gestoßen haben müsse. Die Zahl seiner Feinde nahm immer zu dank der
schroffen Verwaltung, durch die er ganz Niort unter einer
Schreckensherrschaft niederhielt. Bleich und aufrecht, in stummem
Zorne die Zähne zusammenpressend und die
mageren Kinderfäuste ballend, ließ Du Poizat diesen Sturm über sich
ergehen; mit einem einzigen Blick seiner grauen Augen brachte er
das Geschwätz der vor ihren Türen stehenden Leute zum Verstummen,
wenn er vorüberkam. Aber es widerfuhr ihm noch ein anderes Unglück;
er mußte Gilquin kassieren, der in einer häßlichen
Militärbefreiungsgeschichte kompromittiert war. Für hundert Franken
hatte Gilquin sich verpflichtet, Bauernsöhne vom Militärdienst zu
befreien. Alles, was man tun konnte, war, daß man ihn vor dem
Zuchtpolizeigericht rettete und ihn verleugnete. Bisher hatte Du
Poizat sich auf Rougon gestützt, dessen Verantwortlichkeit er mit
jeder neuen Katastrophe immer mehr belastete. Er mußte die nahe
Ungnade des Ministers wittern, denn er kam nach Paris, ohne Rougon
davon zu verständigen; auch er selbst fühlte sich in seiner
Stellung sehr erschüttert, fühlte die Macht, die er untergraben
hatte, wanken und spähte schon nach einem mächtigen Arm, an den er
sich klammern könne. Er dachte daran, eine andere Präfektur zu
verlangen, um der sicheren Entlassung zu entgehen. Nach dem Tode
seines Vaters und den Gaunerstreichen des Gilquin war Niort für ihn
unhaltbar geworden.
    »Ich bin gestern Herrn Du Poizat im Stadtviertel St.-Honorius,
zwei Schritte von hier, begegnet«, sagte eines Tages Clorinde
boshaft dem Minister. »Sie sind nicht mehr gut zusammen? Er schien
mir sehr aufgebracht gegen Sie.«
    Rougon vermied es, ihr zu antworten. Allmählich und nachdem er
ihm verschiedene Gunstbezeigungen hatte verweigern müssen, entstand
eine große Kälte zwischen ihnen; sie beschränkten sich jetzt auf
den bloßen öffentlichen Verkehr. Übrigens hatte eine allgemeine
Fahnenflucht stattgefunden, selbst Frau Gorreur verließ ihn. An
manchen Abenden hatte er wieder jenen Eindruck der Verlassenheit,
unter dem er schon ehemals in der Marbeufstraße
gelitten hatte, als die Freunde an ihm zu
zweifeln begannen. Nach seinen stark beschäftigten Tagen inmitten
der Menge, die seinen Salon belagerte, fand er sich abends allein,
verloren, bekümmert. Ihm fehlten seine Vertrauten. Er fühlte ein
brennendes Bedürfnis nach der unablässigen Bewunderung des Obersten
und des Herrn Bouchard, nach dem heißen, aufregungsvollen Leben,
mit dem sein kleiner Hof ihn umgab; ja, er sehnte sich sogar nach
dem Stillschweigen des Herrn Béjuin. Da machte er wieder einmal den
Versuch, seine Leute zurückzuführen; er ward liebenswürdig, schrieb
Briefe, machte Besuche. Allein die Bande waren gelöst; es wollte
ihm nicht mehr gelingen, sie alle um sich zu sehen; wenn er auf
einer Seite Frieden machte, brach auf der andern Seite ein Zwist
aus, und er blieb dennoch vereinsamt, sah immer weniger Freunde um
sich. Endlich blieben alle weg. Es war der Todeskampf seiner Macht.
Er, der Starke und Kluge war durch die lange Arbeit ihres
gemeinsamen Glückes an diese Tröpfe gebunden; jeder nahm auf seinem
Rückzuge ein Stück von ihm mit sich. In dieser Verringerung seiner
Bedeutung wurden seine Kräfte gleichsam unnütz; seine groben Fäuste
hieben ins Leere. An dem Tage, da sein Schatten in der Sonne allein
war, da er sich nicht mehr mit den Mißbräuchen seines Kredites
mästen konnte, schien es ihm, als sei sein Platz auf Erden kleiner
geworden; und er träumte von einer neuen Menschwerdung, von einer
Wiedererstehung als Donnergott, ohne Freunde zu seinen Füßen, durch
den bloßen Klang seiner Stimme Gesetze diktierend.
    Indessen hielt sich Rougon noch nicht für ernstlich erschüttert.
Er mißachtete die Bisse, die ihn kaum an den Fersen trafen. Er war
entschlossen, mächtig, verhaßt und einsam zu regieren. Überdies
setzte er seine ganze Kraft auf den Kaiser. Seine Leichtgläubigkeit
wurde seine einzige Schwäche. Jedesmal,
wenn er Seine Majestät sah, fand er den Herrscher wohlwollend, sehr
gütig, mit einem unbestimmten, undurchdringlichen Lächeln. Der
Kaiser erneuerte

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