Seine Exzellenz Eugène Rougon
fragte sie ihn.
»Sind Sie zufrieden? Geht alles nach Wunsch?«
»Ja, vollkommen«, erwiderte er.
»Dann um so besser!«
Sie bewegte sich um ihn mit der Aufmerksamkeit eines Kaffeehauskellners. Sie beobachtete ihn mit ihren
boshaft funkelnden Augen und schien jeden Augenblick auf dem
Sprunge, ihren Sieg zu verraten. Endlich entschloß sie sich, ihn zu
verlassen, als sie sich auf die Fußspitzen stellte, um in den
großen Saal zu schauen. Dann berührte sie ihn an der Schulter und
sagte mit leuchtendem Antlitz:
»Ich glaube, man sucht Sie.«
In der Tat kam Merle respektvoll zwischen den Tischen und
Sesseln des Büfetts heran. Er verbeugte sich dreimal nacheinander
und bat Seine Exzellenz, ihn zu entschuldigen. Man habe gleich nach
dem Fortgang Seiner Exzellenz den seit dem Morgen erwarteten Brief
gebracht. Weil er, Merle, keinen Befehl erhalten habe, glaubte
er …
»Es ist gut, geben Sie her«, unterbrach ihn Rougon.
Der Türsteher übergab ihm einen Brief in großem Umschlag und
ging dann in den Saal, um den Markt zu besichtigen. Rougon hatte
auf den ersten Blick die Schrift erkannt; es war ein eigenhändiger
Brief des Kaisers, die Antwort auf sein Entlassungsgesuch. Kalter
Schweiß trat ihm auf die Schläfen, aber er erbleichte nicht. Er
schob ruhig den Brief in die innere Tasche seines Rockes, immerfort
den Blicken der am Nachbartische sitzenden Herren Trotz bietend, zu
denen Clorinde sich begeben hatte, um ihnen einige Worte zu sagen.
Die ganze Gesellschaft spähte jetzt nach ihm, verlor keine einzige
seiner Bewegungen, von einem Fieber der Neugier ergriffen.
Die junge Frau war wieder zu ihm getreten. Rougon trank endlich
die Hälfte seines Zuckerwassers und suchte nach einer
Schmeichelei.
»Sie sind heute sehr schön. Wenn die Königinnen Mägde
würden … «
Sie unterbrach sein Kompliment und sagte mit der ihr
eigentümlichen Kühnheit:
»Wollen Sie den empfangenen Brief nicht
lesen?«
Er tat, als habe er vergessen, und als erinnere er sich erst
jetzt wieder.
»Ach ja, diesen Brief! … Ich will ihn lesen, wenn es Ihnen
Vergnügen macht.«
Mit Hilfe eines Taschenmessers schnitt er sorgfältig den
Umschlag auf. Mit einem Blick hatte er die wenigen Zeilen
überflogen. Der Kaiser nahm seine Entlassung an. Eine Minute
behielt er das Papier vor seinem Antlitz, wie um es noch einmal zu
lesen. Er fürchtete, seine Miene nicht beherrschen zu können. Eine
furchtbare Empörung erhob sich in seinem Innern, eine Auflehnung
seiner ganzen Kraft, die sich den Sturz nicht gefallen lassen
wollte, schüttelte ihn wütend bis an die Knochen. Er mußte sein
ganzes Wesen zügeln, um nicht aufzuschreien und mit seinen
Faustschlägen den Tisch zu zertrümmern. Den Blick noch immer auf
den Brief geheftet, sah er den Kaiser wieder, wie er ihn in
Saint-Cloud gesehen, mit seiner sanften Rede, seinem beharrlichen
Lächeln, ihn seines Vertrauens versichernd und ihm seine Weisungen
erneuernd. Welch eine lange gehegte Absicht der Ungnade mußte
hinter seinem undurchdringlichen Antlitze gereift sein, daß er ihn
so plötzlich in einer Nacht fallen ließ, nachdem er ihn zwanzigmal
an der Macht zurückgehalten!
Es gelang Rougon endlich, mit einer äußersten Anstrengung sich
zu meistern. Er erhob sein Antlitz, in welchem kein Zug sich regte;
mit einer gleichgültigen Bewegung steckte er den Brief wieder in
die Tasche. Doch Clorinde hatte ihre beiden Hände auf den Tisch
gestützt. In einer nachlässigen Bewegung neigte sie sich zu ihm und
flüsterte, wobei ihre Mundwinkel zitterten:
»Ich wußte es. Ich war noch heute morgen dort … Mein armer
Freund!«
Sie beklagte ihn in einem so
grausam-spöttischen Tone, daß er von neuem seine Augen in die
ihrigen versenkte. Sie verstellte sich übrigens nicht mehr. Sie
hatte jetzt die seit Monaten ersehnte Freude und genoß langsam Satz
um Satz die Wollust, sich ihm als unerbittliche und gerächte
Feindin zu zeigen.
»Ich habe Sie nicht verteidigen, können«, fuhr sie fort. »Es ist
Ihnen gewiß unbekannt … «
Sie vollendete den Satz nicht. Dann fragte sie mit spöttischer
Miene:
»Raten Sie, wer an, Ihrer Statt Minister des Innern wird?«
Er machte eine Bewegung, als wolle er sagen, es sei ihm
gleichgültig. Sie ermüdete ihn mit ihrem beharrlichen Blick und
sagte schließlich:
»Mein Mann!«
Rougon, dem die Kehle ausgetrocknet war, trank noch einen
Schluck Zuckerwasser. Alles hatte sie in dieses eine Wort gelegt:
ihren Groll darüber, ehemals von ihm mißachtet worden
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