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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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im Flüstertone erzählten. Es reizte seine ehemaligen
Begierden, sie außer seinem Bereiche zu wissen, ganz hoch, die
Sklavin eines Mannes, der mit einem Worte alle Häupter beugte.
    Ohne Zweifel erriet die junge Frau seine Qual. Sie fügte eine
Grausamkeit hinzu, zeigte ihm mit einem Augenblinzeln, Frau von
Combelot, die in ihrem Blumenstand Rosen verkaufte, und flüsterte
mit ihrem boshaften Lachen:
    »Die arme Frau von Combelot! Sie wartet noch immer!«
    Rougon trank sein Glas Zuckerwasser aus. Er glaubte zu
ersticken. Sein Brieftäschchen ziehend fragte er:
    »Ich zahle?«
    »Fünf Franken.«
    Als sie das Geldstück in ihre Gürteltasche geworfen hatte,
streckte sie ihm von neuem die Hand hin und sagte in scherzhaftem
Tone:
    »Für die Kellnerin geben Sie nichts?«
    Er suchte in seiner Börse und fand zwei Sous, die er ihr in die
Hand legte. Das war die einzige Rache, die er in seiner Roheit
eines Emporkömmlings zu ersinnen wußte. Sie errötete trotz ihrer
großen Dreistigkeit; aber sie fand sogleich ihren Götterstolz
wieder. Sie entfernte sich grüßend mit den Worten:
    »Danke, Exzellenz.«
    Rougon, wagte nicht, sich sogleich zu erheben. Seine Beine waren
schwach, er fürchtete zu wanken und wollte doch gehen, wie er
gekommen war: stark und ruhig. Er fürchtete besonders, an seinen
ehemaligen Freunden vorüberzugehen, die mit vorgestreckten Hälsen,
gespitzten Ohren und gierigen Augen die Szene in allen ihren
Einzelheiten verfolgt hatten. Er blickte noch einige Minuten mit
erheuchelter Gleichgültigkeit umher.
Inzwischen dachte er nach. Abermals war ein Akt seines politischen
Lebens zu Ende. Er fiel, unterwühlt, verschlungen von seinen
eigenen Freunden. Seine starken Schultern krachten unter den
Verantwortlichkeiten, Dummheiten und Abscheulichkeiten, die er auf
seine Rechnung genommen in der Prahlerei eines Starken, in dem
Bedürfnis, ein gefürchtetes und großmütiges Oberhaupt zu sein.
Seine Stiermuskeln machten seinen Sturz nur geräuschvoller, den
Zusammenbruch seines Anhanges umfassender. Die Bedingungen der
Macht, die Notwendigkeit, hinter sich Befriedigung heischende
Begierden zu haben, sich durch den Mißbrauch des eigenen Kredites
zu erhalten: sie hatten in verhängnisvoller Weise seinen Sturz zu
einer Frage der Zeit gemacht. Er erinnerte sich jetzt der langsamen
Wühlarbeit seiner Freunde, ihrer scharfen Zähne, die jeden Tag
etwas von seiner Macht wegfraßen. Sie umgaben ihn, kletterten bis
zu seinen Knien, dann bis zu seiner Brust und dann bis zu seinem
Halse, um ihn schließlich zu erwürgen; sie hatten ihm alles
genommen: seine Füße, um emporzusteigen, seine Hände, um zu
stehlen, seine Kinnladen, um zu beißen und zu verschlingen; sie
hausten in seinen Gliedern, zogen aus ihnen ihre Freude und ihre
Gesundheit, vergönnten sich Schmausereien, ohne an den kommenden
Tag zu denken. Heute endlich, nachdem sie ihn ausgeleert hatten und
das Gerüste krachen hörten, nahmen sie Reißaus gleich den Ratten,
denen ihr Instinkt den nahen Einsturz der Häuser ankündigt, deren
Mauern sie unterwühlt haben. Die ganze Gesellschaft strahlte und
blühte und war im Begriff, sich einen neuen Fettwanst anzumästen.
Herr Kahn hatte seine von Niort nach Angers führende Eisenbahn an
den Grafen von Marsy verkauft. Der Oberst sollte nächste Woche eine
Stelle in den kaiserlichen Palästen bekommen. Herr
Bouchard hatte die förmliche Zusage, daß
sein Schützling, der interessante Georges Duchesne, bei Eintritt
des Herrn Delestang ins Ministerium des Innern zweiter
Abteilungsvorstand werde. Frau Correur erfreute sich einer schweren
Krankheit der Frau Martineau, glaubte schon, ihr Haus in Coulonges
zu bewohnen, ihre Renten als ehrsame Bürgerin zu verzehren, eine
Wohltäterin der Gegend zu sein. Herr Béjuin war sicher, im Herbste
den Besuch des Kaisers in seiner Glasfabrik zu erhalten. Herr
d'Escorailles endlich, dem seine Eltern tüchtig den Text gelesen
hatten, warf sich Clorinden zu Füßen und erhielt die Stelle eines
Unterpräfekten dank der bloßen Bewunderung, mit der er ihr zusah,
wie sie Likör einschenkte. Und angesichts der so reichlich
gefütterten Gesellschaft fand sich Rougon kleiner denn je, hatte er
das Gefühl, daß jene jetzt riesengroß seien, ihn mit ihrem Gewichte
erdrückten; und er wagte es nicht, seinen Sessel zu verlassen, aus
Furcht, sie lächeln zu sehen, wenn er strauchele.
    Doch allmählich faßte er sich, sammelte seine Gedanken und erhob
sich. Er schob das Tischchen zurück, um

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