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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sich zu entfernen, als
Delestang am Arme des Grafen von Marsy eintrat. In betreff des
letzteren erzählte man sich eine sehr seltsame Geschichte. Wenn man
gewissen Gerüchten Glauben schenken durfte, war er verflossene
Woche im Schlosse von Fontainebleau mit Clorinde zusammengetroffen,
bloß um die Begegnungen der jungen Frau mit Seiner Majestät zu
erleichtern. Er hatte den Auftrag, die Kaiserin zu amüsieren. Dies
schien übrigens pikant, nicht mehr; es war einer jener Dienste, die
Männer unter sich einander stets erweisen. Allein Rougon ahnte
dahinter eine Rache des Grafen, der sich zu seinem Sturze mit
Clorinde verbündete und so gegen seinen Nachfolger im Ministerium
dieselben Waffen anwandte, die dieser auch benützt hatte, um ihn
einige Monate früher in Compiègne zu
stürzen. Er tat es in geistvoller Weise mit einem Zug eleganter
Unflätigkeit. Seit seiner Rückkehr von Fontainebleau wich Herr von
Marsy nicht mehr von der Seite Delestangs.
    Herr Kahn, Herr Béjuin, der Oberst, die ganze Gesellschaft warf
sich dem neuen Minister in die Arme. Die Ernennung sollte erst am
folgenden Tage im »Moniteur« erscheinen gleichzeitig mit der
Entlassung Rougons; aber die Ernennungsurkunde war schon
unterschrieben, man konnte sich dem Triumphe hingeben. Sie
schüttelten ihm kräftig die Hände, es gab ein Kichern und ein
Flüstern, einen Begeisterungssturm, den die Blicke des ganzen
Saales kaum zurückhalten konnten. Es war eine langsame
Besitzergreifung der Vertrauten, welche die Füße und die Hände
küssen, ehe sie sich des ganzen Leibes bemächtigen. Schon gehörte
er ihnen; der eine hielt ihn am rechten Arme, der andere am linken
Arme; ein dritter hatte einen Knopf seines Rockes erfaßt, während
ein vierter hinter seinem Rücken sich auf die Fußspitzen stellte
und ihm leise in den Nacken redete. Er richtete mit herablassender
Würde sein schönes Haupt in die Höhe; es war ein würdevolles,
vornehmes, geistloses Gesicht, das Gesicht eines reisenden
Herrschers, dem die Damen der Unterpräfektur Blumensträuße
darreichen, wie man sie auf den amtlichen Abbildungen sieht. Der
Gruppe gegenüber stand Rougon sehr bleich, grausam leidend durch
diese Verherrlichung der Mittelmäßigkeit. Doch konnte er ein
Lächeln nicht zurückhalten, denn er erinnerte sich.
    »Ich habe immer prophezeit, Delestang werde es weit bringen«,
sagte er mit spöttischer Miene zum Grafen von Marsy, der sich mit
vorgestreckter Hand ihm näherte.
    Der Graf antwortete ihm damit, daß er in liebenswürdigem Spott
das Gesicht verzog. Seitdem er – nach den Clorinden erwiesenen
Diensten – mit Delestang Freundschaft geschlossen, schien er sich sehr gut zu amüsieren. Er
hielt einen Augenblick Rougon fest und zeigte sich von einer
köstlichen Höflichkeit. Immerfort im Kampfe miteinander,
Widersacher vermöge ihrer Temperamente, begrüßten sich diese zwei
starken Männer jedesmal bei dem Ausgange eines Duells als Gegner
von gleicher Geschicklichkeit und verhießen sich immer wieder
Vergeltung. Rougon hatte Marsy verletzt, dafür verletzte Marsy
jetzt Rougon; dies mußte so fortgehen, bis einer von beiden am
Boden liegen bleibt. Vielleicht wünschten sie im Grunde einander
gar nicht den Tod; es ergötzte sie der Kampf, ihre
Nebenbuhlerschaft füllte ihr Leben aus. Überdies hatten sie
gleichsam das Gefühl, als seien sie die beiden Gegengewichte, die
für das Gleichgewicht im Kaiserreiche notwendig sind: die behaarte
Faust, die zu Boden schlägt, und die fein behandschuhte Hand, die
erdrosselt.
    Inzwischen war Delestang die Beute einer grausamen Verwirrung.
Er hatte Rougon bemerkt und wußte nicht, ob er ihm entgegengehen
und die Hand reichen solle. Er warf einen verlegenen Blick auf
Clorinde, die sich unbekümmert um alles andere ganz ihrem Dienste
zu widmen schien und Brötchen und Kuchen nach allen Ecken und Enden
des Büfettraumes trug. Auf einen Blick der jungen Frau glaubte er
zu begreifen; er näherte sich endlich, ein wenig verwirrt und sich
entschuldigend.
    »Sie zürnen mir wohl nicht, mein Freund … Ich habe
abgelehnt, aber man nötigte mich. Es gibt Notwendigkeiten, nicht
wahr?«
    Rougon unterbrach ihn; der Kaiser habe in seiner Weisheit
gehandelt, das Land werde sich in ausgezeichneten Händen befinden.
Da wurde Delestang mutiger.
    »Ich habe Sie verteidigt; wir alle haben Sie verteidigt. Aber,
unter uns gesagt, Sie waren etwas zu weit gegangen. Man trägt Ihnen besonders nach, was Sie für die
Charbonnels getan haben, diese

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