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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Hartnäckigkeit der Verwahrung, deren Wirkung nach und
nach das ganze Land empören mußte. Diese Abgeordneten standen
aufrecht wie eine verschwindend kleine Gruppe inmitten einer
erdrückenden Mehrzahl; mit unerschütterlichem Mute und dem Eifer
ihrer Rachegelüste hielten sie den Drohungen, den vorgestreckten
Fäusten, dem geräuschvollen Druck der Kammer stand.
    Der ganze Saal schien verändert, vom Lärm widerhallend, von
einem Fieberschauer erfaßt. Am Fuße des Tisches, wo der Präsident
und die Schriftführer saßen, hatte man die Rednertribüne
wiederaufgestellt. Die Kälte der Marmorwände, die prunkvollen
Säulen des Halbkreises erwärmten sich an
den glühenden Worten der Redner. Auf den staffelweise aufgestellten
Bankreihen längs der rotgepolsterten Sitzbänke schien das Licht,
welches durch das Glasdach senkrecht hereinfiel, inmitten der
Stürme der großen Sitzungen Brände anzuzünden. Der Tisch des
Präsidenten mit seinen streng stilisierten Feldern belebte sich
durch die spöttischen und herausfordernden Bemerkungen des Herrn
von Marsy, dessen genau geschnittener Leibrock, dessen dünne Taille
eines erschöpften Lebemannes durch eine schmale Linie die antiken
Figuren des Frieses unterbrachen, der hinter seinem Rücken
angebracht war. Nur die bildlichen Gestalten der öffentlichen
Ordnung und der Freiheit in ihren Nischen zwischen den Doppelsäulen
bewahrten ihre toten Gesichter und ihre hohlen Augen steinerner
Gottheiten. Was aber hauptsächlich Leben hierher brachte, war das
Publikum, das in größerer Menge erschienene Publikum, das sich
ängstlich vorneigte und mit voller Leidenschaft den Erörterungen
folgte. Der zweite Stock der Galerie war wiederhergestellt worden.
Die Journalisten hatten ihre besondere Tribüne. Ganz oben am Rande
des goldüberladenen Karnieses streckten sich Köpfe vor; es war ein
Hereinströmen der Menge, das von Zeit zu Zeit die Deputierten
unruhig emporblicken ließ, als glaubten sie plötzlich das Getrappel
einer aufrührerischen Menge zu hören.
    Der Redner auf der Tribüne wartete inzwischen noch immer, daß er
fortfahren könne. Mit einer Stimme, die von dem fortwährenden
Gemurmel übertönt wurde, sagte er:
    »Meine Herren, ich fasse das Gesagte zusammen … «
    Doch er hielt inne, um mit lauterer Stimme, den Lärm
beherrschend, auszurufen:
    »Wenn die Kammer mich nicht anhören will, steige ich unter
Widerspruch von der Tribüne.«
    »Reden Sie! Reden Sie!« schrie man von
mehreren Bänken.
    Eine schwerfällige, rostige Stimme brummte:
    »Reden Sie nur, man wird Ihnen schon zu antworten wissen.«
    Plötzlich herrschte Stille im Saale. In den Bankreihen und auf
den Galerien streckte man die Hälse vor, um Rougon zu sehen, der
diese Worte gesprochen hatte. Er saß in der ersten Bank, die
Ellbogen auf die Marmorplatte des Pultes gestützt. Sein breiter
Rücken bewahrte eine Unbeweglichkeit, die nur von Zeit zu Zeit
durch ein leichtes Wiegen der Schultern unterbrochen wurde. Man sah
sein Antlitz nicht, das zwischen seinen breiten Händen verschwand.
Er hörte zu. Sein erstes Auftreten wurde mit lebhafter Neugierde
erwartet; denn seit seiner Ernennung zum Minister ohne Portefeuille
hatte er noch nicht das Wort ergriffen. Ohne Zweifel hatte er das
Bewußtsein, daß alle Blicke auf ihn gerichtet seien. Er wandte den
Kopf und schaute im Saale umher. Gegenüber auf der Gesandtengalerie
saß Clorinde in violettem Kleide, an die Brüstung von rotem Samt
gelehnt, und schaute ihn lange mit ihrer ruhigen Kühnheit an. So
verharrten sie einige Sekunden, Aug' in Auge ohne ein Lächeln
gleichsam fremd zueinander. Dann nahm Rougon seine frühere Stellung
wieder ein und hörte zu, das Gesicht in den Händen vergraben.
    »Meine Herren, ich fasse das Gesagte zusammen«, sprach der
Redner. »Die Verfügung vom 24. November gibt dem Lande lediglich
scheinbare Freiheiten. Wir sind noch weit entfernt von den
neunundachtziger Grundsätzen, die so großartig an der Spitze der
kaiserlichen Verfassung stehen. Wenn die Regierung mit den
Ausnahmegesetzen ausgerüstet bleibt, wenn sie fortfährt, dem Lande
ihre Kandidaten aufzunötigen, wenn sie die Presse nicht von der
Zensur befreit, und wenn sie schließlich
Frankreich noch immer in ihrer Gewalt behält, werden alle
scheinbaren Zugeständnisse, die sie machen mag, lügenhaft
sein … «
    Der Präsident unterbrach ihn.
    »Ich kann es nicht gestatten, daß der Redner einen solchen
Ausdruck gebrauche.«
    »Sehr gut! Sehr gut!« rief man

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