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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Zimmer standen
nicht still. Ihre Tochter Clorinde empfing ihre Besucher in einer
Galerie, einer Art Maleratelier, dessen großscheibige Fenster auf
die Allee gingen.
    Fast ein Vierteljahr lang hatte sich Rougon mit der
Rücksichtslosigkeit des keuschen Mannes für das Entgegenkommen
dieser beiden Frauen sehr unempfänglich gezeigt. Sie hatten sich
ihm auf einem Ball beim Minister des Äußern vorstellen lassen, und
er begegnete ihnen überall; beide lächelten ihm in derselben
herausfordernden Weise zu, die Mutter immer stumm, die Tochter sehr
laut redend und ihm keck in die Augen schauend. Doch er hielt sich
tapfer, ging ihnen aus dem Wege, schlug die Augen nieder, um sie
nicht zu sehen, und lehnte die ihm zugesandten Einladungen ab. Aber
es half ihm nichts; er war gefangen, wurde bis in sein Haus
verfolgt, vor dem Clorinde hoch zu Roß sich einfand. So entschloß
er sich, Erkundigungen einzuziehen, ehe er es wagte, zu ihnen zu
gehen.
    Beim italienischen Gesandten erfuhr er über sie nur
Günstiges: der Graf Balbi hatte wirklich
gelebt, die Gräfin stand mit sehr hohen Personen zu Turin in
Verbindung, die Tochter endlich war noch im letzten Jahre auf dem
Punkte gewesen, einen kleinen deutschen Fürsten zu heiraten. Aber
bei der Herzogin Sanquirino, wo er sich später erkundigte, erfuhr
er ganz andere Dinge. Clorinde war zwei Jahre nach des Grafen Tode
zur Welt gekommen; übrigens waren sehr verwickelte Geschichten über
das Eheleben des gräflichen Paares in Umlauf. Beide hätten viele
Abenteuer und Ausschweifungen hinter sich, in Frankreich seien sie
in aller Form geschieden, in Italien sei es auf Grund eines
neuerlichen Übereinkommens zu einer Art wilder Ehe zwischen ihnen
gekommen. Ein junger Gesandtschaftsbeamter, der über die
Verhältnisse an Viktor Emanuels Hofe sehr gut unterrichtet war,
drückte sich noch deutlicher aus: nach ihm verdankte die Gräfin
ihren dortigen Einfluß einer Liebschaft mit einer sehr hohen
Persönlichkeit, und er ließ durchblicken, daß sie nur infolge eines
ungeheuren Skandals, über den er sich nicht näher ausließ, Turin
verlassen habe. Rougon, dessen Interesse durch die Ergebnisse
dieser Nachforschungen allmählich erweckt worden, ging sogar zur
Polizei, wo er jedoch nichts Genaueres erfuhr: nur, daß die beiden
auf großem Fuße lebten, ohne daß man über ihr Vermögen etwas
Bestimmtes wußte. Sie behaupteten, in Piemont Güter zu besitzen. In
Wirklichkeit zeigten sich zuweilen klaffende Lücken in ihrem
Reichtum; dann verschwanden sie plötzlich, um bald in neuem Glanze
wieder aufzutauchen. Kurz, man wußte nichts Rechtes über sie, oder
man zog es vor, nichts zu erfahren. Sie kamen in die beste
Gesellschaft, ihr Haus galt als neutrales Gebiet, wo man die
Absonderlichkeiten Clorindes als eine Art ausländischer Blume
hingehen ließ. Rougon entschloß sich endlich, sie zu besuchen.
    Als er zum drittenmal dort war, hatte die
Neugier des großen Mannes noch bedeutend zugenommen. Sein
Sinnenleben war nicht leicht zu erwecken. Was ihn zunächst in
Clorindes Wesen anzog, war das geheimnisvolle Dunkel, das ihre
Vergangenheit umhüllte, die fixe Idee von einer Zukunft, die er in
ihren großen, herrlichen Augen zu lesen glaubte. Man hatte ihm
allerdings haarsträubende Geschichtchen erzählt; ihre erste Liebe –
ein Kutscher, darauf ein Verhältnis mit einem Bankier, der die
falsche Jungferschaft des Fräuleins mit dem Palais, worin sie jetzt
wohnten, bezahlt hatte. Aber zuweilen schien sie ihm so kindlich,
daß er alles bezweifelte und sich vornahm, sie in die Beichte zu
nehmen, um dahinter zu kommen, was an dieser Fremden sei, deren
lebendiges Rätsel ihn schließlich so gefesselt hielt wie nur
irgendeine schwierige Frage der hohen Politik.
    Am Tage nachdem Clorinde auf ihrem gemieteten Reitpferde
gekommen war, um ihm vor dem Tor des Staatsrats teilnahmsvoll die
Hand zu drücken, machte er ihr den Besuch, den sie feierlich
verlangt hatte. Sie hatte gesagt, sie werde ihm etwas zeigen, was
ihm seine schlechte Laune vertreibe. Er nannte sie lachend »sein
Laster« und vergaß sich und seine Sorgen gern bei ihr, unterhalten,
gereizt, angeregt, um so mehr, als er in der Erkenntnis ihres
Wesens noch nicht weitergekommen war als am ersten Tage. Wenn er um
die Ecke seiner Straße bog, warf er einen Blick in die
Kolosseumstraße, in die Wohnung Delestangs, den er schon mehrmals
dabei überrascht hatte, wie er hinter halbgeöffneten Fensterläden
zu Clorindes Fenstern hinüberspähte.

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