Seine Exzellenz Eugène Rougon
Jetzt aber waren die Vorhänge
niedergelassen; Delestang mußte nach seiner Musterwirtschaft
gereist sein.
Die Haustür der Balbi stand immer weit offen. Am Fuße der Treppe
begegnete Rougon einer kleinen, schwarzen Frau mit ungeordnetem Haar und in einem gelben Kleide. Sie
biß in eine Apfelsine wie in einen Apfel.
»Antonie, ist Ihre Herrschaft zu Hause?« fragte er.
Sie antwortete nicht, sondern nickte vollen Mundes sehr lebhaft,
wobei sie lachte, daß ihr der Saft vom Munde herunterlief. Ihre
schwarzen Augen wurden so klein, daß sie auf ihrer braunen Haut
zwei Tintenflecke schienen.
An die Nachlässigkeit des Dienstes in diesem Hause gewöhnt,
stieg Rougon hinauf. Auf der Treppe kam er an einem Flegel von
Bedienten vorbei mit einem Räubergesicht und langem, schwarzem
Barte, der ihn ruhig ansah, ohne ihm Platz zu machen. Dann sah er
sich auf dem Flur des zweiten Stockes allein drei offenen Türen
gegenüber. Links lag Clorindes Zimmer, und er war neugierig genug,
den Kopf hineinzustecken. Obgleich es vier Uhr geschlagen hatte,
war drinnen noch nicht aufgeräumt; vor dem Bette stand eine
spanische Wand, welche die herabhängenden Bettdecken zur Hälfte
sehen ließ; über die spanische Wand waren die Röcke vom vorigen
Tage mit kotigem Saum zum Trocknen hingeworfen. Am Fenster stand
das Waschbecken voll Seifenwasser, während die graue Hauskatze auf
einem Kleiderhaufen zusammengerollt schlief.
Clorinde hielt sich gewöhnlich im zweiten Stock auf in der
Galerie, die sie nach und nach zum Atelier, zum Rauchzimmer, zum
Wintergarten und zum Sommersalon eingerichtet hatte. Je weiter
Rougon hinaufstieg, um so lauter wurden die Stimmen, das helle
Gelächter und das Poltern umgestürzter Möbel. Als er vor der Türe
stand, erkannte er endlich, daß ein schwindsüchtiges Piano, das
eine Singstimme begleitete, den Lärm anführte. Er klopfte zweimal,
und da dies unbeachtet blieb, entschloß er sich einzutreten.
»Ah bravo, bravo, da ist er!« rief Clorinde, in die Hände
klatschend. Er, der sonst nicht leicht aus der Fassung
zu bringen war, blieb doch einen Augenblick
wie eingeschüchtert stehen. Ritter Rusconi, der italienische
Gesandte, ein schöner, brauner Herr, zur rechten Zeit ein ernster
Diplomat, hämmerte auf dem alten Klavier herum, um ihm weniger
dünne Töne zu entlocken. In der Mitte des Gemaches walzte der
Abgeordnete La Rouquette, einen Stuhl im Arme, dessen Lehne er mit
verliebter Gebärde an seine Brust drückte, dermaßen toll, daß er
den Boden mit umgestürzten Sesseln bedeckt hatte. Und im grellen
Lichte des Fensters gegenüber einem jungen Manne, der sie auf weiße
Leinwand zeichnete, stand auf einem Tische Clorinde als jagende
Diana, die Schenkel nackt, die Arme nackt, den Busen nackt, ganz
nackt, mit unbefangenem Gesichtsausdruck. Auf dem Sofa saßen drei
Herren, welche dicke Zigarren rauchten und mit untergeschlagenen
Beinen sich schweigend verhielten, ohne einen Blick von ihr zu
wenden.
»Still, rühren Sie sich nicht!« rief Ritter Rusconi, als
Clorinde Miene machte, vom Tische zu springen. »Ich werde die
Herren miteinander bekannt machen!«
In Begleitung Rougons schritt er zunächst auf Herrn La Rouquette
zu, der eben erschöpft in einen Sessel gesunken war, und sagte:
»Herr La Rouquette, Sie kennen ihn, ein künftiger Minister.«
Dann näherte er sich dem Maler und fuhr fort:
»Herr Luigi Pozzo, mein Sekretär, Diplomat, Maler, Musiker und
Verliebter.«
Die drei Herren auf dem Sofa hatte er übersehen. Erst als er
sich umwandte, gewahrte er sie, und seinen vertraulichen Ton
ändernd, verneigte er sich, indem er mit feierlichem Ausdruck
flüsterte:
»Herr Brambilla, Herr Staderino, Herr Viscardi, politische
Flüchtlinge.«
Die drei Venezianer grüßten, ohne ihre
Zigarren aus dem Munde zu nehmen. Ritter Rusconi wandte sich wieder
zum Klavier, als Clorinde ihm lebhaft vorwarf, er sei ein
schlechter Zeremonienmeister. Indem sie ihrerseits auf Rougon wies,
sagte sie einfach, mit eigentümlichem, einschmeichelndem Klang und
Ausdruck der Stimme:
»Herr Eugène Rougon.«
Man grüßte sich aufs neue. Rougon, der einen Augenblick
befürchtet hatte, sie möge ihn durch einen Scherz bloßstellen, war
von dem Takte und der Würde dieses großen, halbnackten Mädchens
überrascht. Er setzte sich und fragte gewohnheitsmäßig nach dem
Befinden der Gräfin; er tat sogar, als komme er nur um der Mutter
willen, was ihm geziemender schien.
»Ich würde mich sehr gefreut haben, ihr selbst
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